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Wer nichts hat, kann alles geben

Wer nichts hat, kann alles geben

Titel: Wer nichts hat, kann alles geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Rabeder
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Lehrer dieser Schule typische Vertreter ihres Fachs waren. Ihr Unterricht orientierte sich streng an den Vorgaben, für viele schien die Devise zu gelten, dass man schlagartig blind wird,
wenn man zu weit über den Rand der eigenen Brille hinausschaut. Getan wurde, was der Lehrplan vorschrieb, ohne die kleinste Abweichung. Vorschrift ist schließlich Vorschrift! Die Schule als Exerzieranstalt, in die anfangs junge Menschen von unterschiedlichstem Charakter hineingesteckt werden, um sie acht Jahre später als gleichförmige Erwachsene auszuspucken – so hatte ich mir den Schritt hinaus aus unserem kleinen Dorf nicht vorgestellt.
    Doch aus heutiger Sicht muss ich leider feststellen: Meine damalige Schule war keine Ausnahme. Sie war nur Ausdruck unseres Erziehungssystems, wie es bis heute überdauert hat. Es ist darauf ausgerichtet, Menschen schon in jungen Jahren einzutrichtern, dass es enge Systemgrenzen gibt und sich jedes Individuum innerhalb dieser Grenzen einzurichten hat. Lehrer verstehen sich als diejenigen, die den Kleinen erst mal erklären müssen, dass der Spaß jetzt vorbei ist und der sogenannte Ernst des Lebens beginnt. Warum das Leben aber plötzlich ernst werden soll, nur weil man langsam erwachsen wird, ist mir bis heute ein Rätsel.
    Eine Folge dieser Haltung ist dann aber nicht nur, dass viele Jugendliche die Schule als etwas begreifen, was gar keinen Spaß machen darf, sondern auch von früh auf lernen, dass sie nicht mehr auf das zu achten brauchen, was ihnen gefällt und Freude bereitet, denn das spielt ja keine Rolle. Es geht nur noch darum, Regeln zu befolgen, Leistung zu bringen und den Anforderungen zu genügen, die die Lehrer definieren. Mein
Verdacht ist, dass sich dieses System nicht zufällig so entwickelt hat. Letztlich soll es regier- und beherrschbare Bürger produzieren, die ihre Lebensfreude in erster Linie im Konsum finden.
    Für mich war es bald, aber nicht nur der Lehrer wegen, vorbei mit der Idylle. Wo Jugendliche im Rudel auftreten, stürzen sie sich gern auf diejenigen, deren Jagd am meisten Spaß macht, erst recht auf einem reinen Bubengymnasium. Einer davon war ungeschickterweise ich. Das lag nicht daran, dass ich in der neuen Klasse der Kleinste gewesen wäre, körperlich lag ich im Durchschnitt. Nein, meine Mitschüler hatten in mir vielmehr ein Opfer gefunden, das sich schlicht weigerte zu kämpfen. Ich wusste ja gar nicht, wie das geht: mich zu verteidigen, mich gegen andere durchzusetzen, ihnen Grenzen aufzuzeigen. Daheim war das nicht notwendig, und in der Volksschule von Leonding war die Welt noch in Ordnung gewesen. Und gerade weil ich nicht der Schwächste war, gab ich wahrscheinlich ein so attraktives Ziel für ihre Hänseleien ab.
    Jemanden zu ärgern, der sich nicht wehren kann, ist langweilig. Um wie viel reizvoller ist es dagegen, jemanden zu triezen, der sich nicht wehren will. Es ist dann immer ein Spiel mit dem Feuer, weil man nie sicher sein kann, ob nicht doch irgendwann der Punkt erreicht ist, wo ihm der Kragen platzt. So verschwanden gelegentlich Sachen von meinem Tisch, Mitschüler rissen mir auf dem Nachhauseweg die Mütze vom Kopf und schmissen sie ins offene Feld. Lauter Kleinigkeiten,
mit denen sie mich provoziert haben, doch ich empfand sie als große Demütigungen.
    Und doch tat ich ihnen nicht den Gefallen, aus der Haut zu fahren. Ich ließ jede Gemeinheit stoisch über mich ergehen und verweigerte jede Gegenwehr. Ich wusste ja, dass die Welt wieder in Ordnung war, wenn ich die Gartentür in Leonding hinter mir zuzog. Wenn ich nach Hause kam, versorgte mich meine Großmutter mit dem Mittagessen, danach machte ich die Hausaufgaben, anschließend ging mein Großvater mit mir in den Stall. Hier war ich sicher, hier gab es niemanden, der mir etwas Böses wollte. Doch weil es deshalb auch niemanden gab, der mir hätte zeigen können, wie man Widerstandskräfte entwickelt, lebte ich wie unter einer Glasglocke, in der gänzlich andere Regeln galten als außerhalb. Erzählte ich meiner Mutter am Abend vor dem Einschlafen davon, was den Tag über in der Schule vorgefallen war, nahm sie mich in den Arm und tröstete mich.
    Immer mehr wanderte ich in die innere Immigration ab. Den Unterricht nahm ich oft kaum noch wahr. Mit meinem Sitznachbarn, mit dem ich mich gut verstand, konzentrierte ich mich vielmehr auf taktische Kriegsspiele, die wir mit Papier und Stift ausfochten. Wir malten Truppen und überlegten uns, wie wir die des Gegners am besten vernichten

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