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Wer nichts hat, kann alles geben

Wer nichts hat, kann alles geben

Titel: Wer nichts hat, kann alles geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Rabeder
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Fröhlichkeit zur Fratze erstarrt war. Wir hatten bei jedem Einzelnen, der uns begegnete, den Eindruck, einen Schauspieler vor uns zu haben, mit zuckersüßer Lächelmaske, aber ohne echte Menschlichkeit: »Hi, nice day today.« Insgeheim aber dachte er wahrscheinlich: »Viel zu heiß heute. So ein Schmarrn. Schon wieder ein lästiger Europäer, der nicht gut genug Englisch kann.« Dabei gibt es nichts, was mir unangenehmer ist, als jemanden vor mir zu haben, bei dem ich spüre: Der empfindet gerade etwas ganz anderes als das, was er mir vorgaukelt mit seiner »Die Welt ist wunderbar«-Attitüde. Wir hatten in diesen drei Wochen nur ganz selten den Eindruck, echte Menschen zu treffen.
    Dabei hatten wir uns diesen Urlaub in den schönsten Farben ausgemalt, so wie man es aus amerikanischen Filmen kennt, von den Reichen und Schönen, die alle ach so glücklich sind. Aber dass man auf lauter Schaufensterpuppen stößt, bei den Hotelmitarbeitern wie bei den Gästen, das hatten wir nicht erwartet. Auch der ganze Luxus, mit dem wir verwöhnt wurden, konnte nichts daran ändern, dass wir an diesem Urlaub keine Freude fanden. Das schönste Azurblau des Ozeans kommt einem irgendwann schal vor, wenn es in eine Welt aus Schein eingebettet ist.
    Nach unserer Rückkehr schlossen wir die Tür unseres Hauses auf, es war kalt und dunkel. Doch wir
waren froh, diesem Irrsinn entkommen zu sein. Es gibt ein schönes Sprichwort, das umschreibt, warum diese Reise so ein Reinfall wurde: »Mit Geld kannst du ein Haus kaufen, aber kein Zuhause. Eine Uhr kaufen, aber keine Zeit. Ein Bett kaufen, aber keinen Schlaf. Ein Buch kaufen, aber keine Weisheit. Blut kaufen, aber kein Leben. Sex kaufen, aber keine Liebe. Eine Position kaufen, aber keine Achtung.« Ich ergänze: »Mit Geld kannst du einen Urlaub kaufen, aber keine Erholung.«
    Die fanden wir dafür am Wochenende danach, in einer kleinen unscheinbaren Berghütte unweit unseres Hauses. Nach einer anspruchsvollen Winterwanderung setzten wir uns an einen simplen, verkratzten Holztisch und bestellten eine Apfelsaftschorle. Als die Kellnerin die beiden Gläser auf den Tisch stellte, entglitt ihr eines, der Inhalt ergoss sich über die Tischplatte. Ohne aufzublicken, sagte sie »Jessas« und machte sich fürsorglich daran, die Schorle von unserer Kleidung abzuwischen. Irene und ich saßen da und hatten das Gefühl, endlich wieder in der echten Welt angekommen zu sein. Es war ein Moment, der mir die Augen öffnete. Da hatten wir uns den teuersten Urlaub unseres Lebens geleistet und fanden das Glück in einer Hütte, in der wir uns nach einer anstrengenden Wanderung nur kurz hatten ausruhen wollen.
    Daraus resultierte in den Tagen danach ein bedrückendes Gefühl der Hoffnungslosigkeit: Wenn ich mir mit all dem Geld, das ich verdient habe, das Gefühl
von Zufriedenheit und Glück nicht kaufen kann, das ich so schmerzlich vermisse – welchen Sinn hat dann das Leben, das ich bislang geführt habe? Ich empfand diesen Zustand als den größter emotionaler Not. Doch er war im Wortsinne »notwendig«: Erst diese Not machte mich wendig.

Die Trennung
    H ätte ich mich aus eigenem Antrieb von Irene getrennt? Vermutlich nicht. Warum auch, wir galten in unserem Freundeskreis doch als Traumpaar: beide meist bester Laune, in Harmonie miteinander verbunden, sich auch in der gemeinsamen Firma perfekt ergänzend. Scheinbar hatten wir alles, was man sich nur wünschen kann. Auch für uns selbst war es so, wie es war, in Ordnung. Nach der Hochzeit, so sah unsere Planung vor, wollten wir deshalb auch mit der Gründung einer Familie beginnen.
    Doch so weit sind wir nicht mehr gekommen. Weder setzte Irene die Pille ab, noch drängte ich sie dazu, die Verhütung einzustellen. Wir lebten nebeneinander her und ahnten vage, dass unsere Eheschließung nicht der Beginn von etwas Neuem gewesen war, sondern das Ende von etwas Altem. Und trotzdem: Als Irene mir eines Tages eröffnete, dass sie sich in einen anderen Mann verliebt hatte, war das zunächst ein Schock, von dem ich nicht wusste, wie ich ihn verkraften sollte.
    Heute weiß ich, dass sie uns beiden keinen größeren Gefallen hätte erweisen können. Es heißt, dass das
Schicksal Geschenke, die es einem bereiten möchte, oft in Form von Problemen präsentiert. Die Frage ist nur, ob man in der Lage ist, mit einem Problem so umzugehen, dass man das darin verborgene Präsent irgendwann auch zu erkennen vermag.
    Die Entwicklung, die zu unserer Trennung führte, hatte

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