Wer nichts hat, kann alles geben
Mentaltrainings an Wettbewerbsroutine, um bei einer solchen Großveranstaltung mein Können ausschöpfen und zur Anwendung bringen zu können.
Das Fliegen selbst ist ja nur ein Teil der Beanspruchung, der man ausgesetzt ist. Ein anderer ist, dass ein solcher Wettbewerb auch insofern an den Ressourcen zehrt, als man nie sicher sein kann, wann der nächste Flug tatsächlich gestartet wird, da das Segelfliegen sehr vom Wetter abhängig ist. Also kann es vorkommen, dass man am Morgen das Flugzeug zusammenbaut, mit Wasser betankt und auf einen Start vorbereitet, von dem keiner sicher sagen kann, dass er auch tatsächlich stattfindet. Zwei Stunden später kann man dann alles wieder zusammenpacken, weil die Wetterverhältnisse und Aufwinde einen sicheren Flug nicht zulassen. Es ist eine Kunst, das richtige Maß an An- und Entspannung zu finden, um seine volle Leistungsfähigkeit im Flug entwickeln zu können, wenn es so weit ist.
Im Rückblick muss ich allerdings sagen, dass ich der Idee der unbedingten Leistungssteigerung mittlerweile sehr skeptisch gegenüberstehe. Sie verrückt unweigerlich die Prioritäten. Irgendwann steht nicht mehr der Weg im Mittelpunkt, der zum Ziel führt, sondern nur noch das Ziel selbst. Man setzt an sich selbst bestimmte
Erwartungen, die, wenn sie nicht erfüllt werden, zu umso größeren Enttäuschungen führen. In der Folge verkrampft man mitunter so sehr, dass die Fixierung auf ein bestimmtes Ziel jede Lust abtötet. Was man einst begann, weil es einem Freude bereitete, empfindet man nur noch als Belastung.
Ohnehin sind wir in unserer Gesellschaft so sehr auf Leistung getrimmt, dass es uns oft besser zu Gesicht stünde, wenn wir einfach mal losließen. Die Pointe ist, dass gerade dann, wenn man sich von dem Gedanken zu lösen bereit ist, seine Leistung steigern zu wollen, sie von ganz allein kommt. Dann ist es aber keine Leistung mehr, sondern ein kreativer Akt, bei dem man gar nicht gemerkt hat, wie die Zeit verflogen ist – was in einem Segelflugzeug ja sogar wörtlich zu nehmen ist. Es ist möglich, Leistung durch Leidenschaft zu erzeugen, schier unmöglich ist es in meinen Augen aber, Leidenschaft durch Leistung zu erzeugen. Es sollte bei mir selbst aber noch weitere knapp zehn Jahre dauern, bis ich dies begriff – genauer gesagt bis zur Weltmeisterschaft 2006, die abermals in Südfrankreich ausgetragen wurde.
Vorher machten sich die Auswirkungen der Beschäftigung mit meinem Selbst auf eine ganz andere Weise bemerkbar. Ich frage mich heute gelegentlich: War das, was im Februar 1998 passierte, Zufall, oder steuerte ich zu diesem Zeitpunkt bereits unbewusst auf den Wendepunkt zu, nach dem mein Leben Fahrt in eine ganz andere Richtung aufnehmen würde? Als wir im Reisebüro saßen, um unseren Urlaub auf Hawaii
zu buchen: Tat ich das, um den ultimativen Beweis dafür zu finden, dass Geld eben doch glücklich macht, dann nämlich, wenn man so viel davon hat, dass man sich fast alles leisten kann? Oder tat ich es insgeheim, um mir mit einer Überdosis dessen, was man sich mit Geld kaufen kann, zu beweisen, dass ich auf dem falschen Weg war? Ich kann es nicht sagen. Was ich weiß, ist, dass wir mit diesem Urlaub das Bedürfnis befriedigen wollten, es mal richtig krachen zu lassen.
Bald nach unserem Umzug nach Telfs mussten wir feststellen, dass all unsere Überlegungen darüber, wie wir Wohn-, Büro- und Lagerräume unter ein Dach bekommen konnten, Makulatur waren. Auch in Telfs war nicht genug Platz für all unsere Produkte, also mieteten wir eine Lagerhalle an, in der wir all die Kerzen und Kerzenhalter, die Silvester-Glücksbringer und die Vasen unterbringen konnten. Wir hatten das Gefühl, es endgültig geschafft zu haben. Meine Großeltern waren noch »Häuslleut« gewesen – wir waren jetzt »Luxusvillaleut«.
Und als ebensolche wollten wir nun Urlaub machen. Also ließen wir uns im Reisebüro einen Urlaub zusammenstellen, der alle erdenklichen Annehmlichkeiten vereinte. Rundflüge mit Helikoptern, Fünf-Sterne-Luxushotels. Tagsüber würden wir unsere Füße in weißen Sand stecken und auf das türkisfarbene Wasser blicken, abends in den besten Restaurants essen und nachts mit dem Meeresrauschen im Ohr einschlafen. Herrje, es würde ein Leben im Paradies werden – und es wurden drei Wochen, nach denen wir wieder
zu Hause saßen und uns dachten: »Was für ein Scheiß!«
Vom ersten Moment an hatten wir das Gefühl, in einer Parallelwelt angekommen zu sein, in der die
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