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Wer nichts hat, kann alles geben

Wer nichts hat, kann alles geben

Titel: Wer nichts hat, kann alles geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Rabeder
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sprühte nur so vor Energie. Dass eine solche Haltung auch ihre Schattenseiten haben kann, wurde mir erst später klar. Denn wenn man um des Friedens willen immerzu darauf verzichtet, seine eigenen Bedürfnisse auszuleben, kommt irgendwann der Punkt, an dem man sich eingestehen muss, etwas verpasst zu haben. So war das leider auch bei meinem Großvater.
    Mit meiner Großmutter hatte er eine Partnerin an seiner Seite, die in ihrem Leben nichts anderes kannte
als Arbeit, Arbeit, Arbeit. Sich einfach hinzusetzen und die Sonne auf der Haut zu spüren, das war für sie undenkbar. Sie war eine kleine, zähe Person, gegen deren Arbeitsethos sich mein Großvater nicht durchsetzen konnte – oder wollte. Aber das machte im Ergebnis keinen Unterschied. Im Hause Rabeder galt die Regel: »Nur wer arbeitet, kann auch etwas erreichen.« Es war eine richtige Tretmühle, und meine Großmutter war ihre unerbittliche Antreiberin, nicht aus böser Absicht, sondern weil auch sie nicht aus ihrer Haut konnte.
    Im Gegensatz zu meinem Opa hatte sie eine sehr schwere Kindheit und Jugend erlebt. Sie war aufgewachsen unter einer alleinerziehenden Mutter, die ihre Kinder nicht durchfüttern hatte können. Also wurde die kleine Johanna, genannt Hanni, zu einer Bauernfamilie gegeben, bei der sie leben und arbeiten sollte. Die pure Idylle. Mit vierzehn Jahren allerdings, es war die Zeit des Ersten Weltkriegs, kam ihre Mutter auf die Idee, sie in ein kleines Hotel nach Enns zu schicken, eine Kleinstadt, 30 Kilometer von Linz entfernt. Sie wurde dort wie eine Leibeigene behandelt, die den Hotelbesitzern gegen freie Kost und Logis jederzeit zur Verfügung zu stehen hatte. Diese Zeit muss eine einschneidende Erfahrung für sie gewesen sein. Sie hatte den Bauernhof verlassen müssen, auf dem sie so glücklich gewesen war und den sie irgendwann einmal hätte erben sollen, weil die Besitzer kinderlos geblieben waren. Und war in einem Leben als Sklavin gelandet. Von da an hatte sie zwei große Sehnsüchte:
die nach einem – und sei es noch so kleinen – Bauernhaus und die nach der Normalität eines selbstbestimmten Arbeitslebens.
    Als meine Mutter 1928 zur Welt kam, waren die Eltern Mitte zwanzig. Die kleine Gertrud blieb ihr einziges Kind. Meine Großmutter arbeitete zu der Zeit als Hausmeisterin, mein Großvater als Fahrer einer Textilfirma. Dass er später den Zweiten Weltkrieg überlebte, war pures Glück. Man könnte aber auch sagen: Es war im Wortsinne eine Entscheidung seines Bauches. Für den Einsatz als Frontsoldat war er mit seinen 35 Jahren bei Kriegsausbruch bereits zu alt, so kam er zu den Versorgungstruppen, und zwar zu einem Regiment, das schließlich in Stalingrad landete. Kurz davor zog er sich allerdings eine Magenkrankheit zu und wurde in ein Krankenhaus ins deutsche Dillingen eingewiesen, um seine Krankheit auszukurieren. Laut Aussage der Ärzte stand er zu diesem Zeitpunkt kurz vor dem Tod. So blieb ihm der Marsch nach Stalingrad erspart. Noch während seines Krankenhausaufenthalts wurde sein Regiment im berüchtigten Kessel eingeschlossen. Keiner kehrte daraus lebend zurück. Danach kam er auf den Balkan, schleppte in russischer Kriegsgefangenschaft wieder Baumstämme und hungerte aus. Als bloßes Gerippe kehrte er nach Kriegsende wieder nach Österreich zurück.
    Seine Lebensfreude aber war ungebrochen. Und so machte er sich mit seiner Frau und ihrer gemeinsamen Tochter daran, sich den Traum vom eigenen Haus zu verwirklichen. Auf dem noch unbebauten Grundstück
betrieben sie neben ihrer eigentlichen Arbeit als Hausmeisterin und Fahrer bereits ihre kleine Gärtnerei. Weil mein Großvater schon seit jeher ein Freund guten Essens war, wurde er irgendwann darauf aufmerksam, dass ein Arbeitskollege immer mit der leckersten Brotzeit in der Kantine saß. Mit allem, was der Gaumen begehrte: Speck, Wurst und Käse. Er dagegen hatte lediglich seine Butterbrote dabei. Irgendwann fragte er den zwanzig Jahre jüngeren Kollegen: »Du, wie machst du das, dass du immer so eine gute Jaus’n dabeihast?« So nennt man in Österreich eine ordentliche Brotzeit. Der antwortete: »Die gibt mir die Mama mit.« Das reichte meinem Großvater aber als Antwort nicht, also fragte er weiter, wie die Mama sich diese Leckereien denn leisten könne. »Na ja«, sagte der Kollege, »die Mama geht Schwammerl suchen, und manchmal gehe ich mit.« Der Mann berichtete ihm, dass seine Mutter jedes Wochenende in den Wald gehe, die Pilze unter der Woche auf dem Markt

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