Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
paar Minuten noch ein Mensch gewesen war, der mit so etwas nicht im Geringsten gerechnet hatte.
Meine Augen wanderten zu einem Stapel Klatschzeitschriften neben meinem Stuhl. Der für Aruba typische starke Wind hatte die oberste Zeitschrift aufgeblättert und spielte mit den Seiten, sodass ich wie in einem Daumenkino die ganzen berühmten Jessicas, Jennifers und Kates ineinander verschmelzen sah. Fast so, wie sie es auch im wirklichen Leben tun. Ich hatte die Zeitschriften für die Arbeit gelesen – in den letzten paar Jahren hatte ich einen Popkultur-Blog geschrieben und im Halbstundentakt Storys ausgespuckt. Und die Promis lieferten mir immer schön brav neues Material, indem sie heirateten, sich scheiden ließen, verhaftet wurden, zunahmen, abnahmen oder einfach aus dem Haus gingen, um einen Kaffee zu trinken. Ja, ziemlich absurder Job eigentlich, aber ich verdiente immerhin sechsstellig damit.
Ein paar Meter entfernt schwankten die Palmen im Wind. Man hatte uns gewarnt, die Stühle nicht darunter zu stellen, weil Kokosnüsse herunterfallen und die Leute k. o. schlagen können. Auf einmal verspürte ich einen ganz starken Drang, meinen Stuhl genau dort rüberzustellen. Aber dann stand ich einfach nur auf und ging durch den leicht knirschenden Sand zum Hotel. Ich marschierte die Stufen zum Hotelpool hinunter, watete durch die seichte Seite des Beckens, wobei ich wahrscheinlich aussah wie ein Astronaut beim Spacewalk, und stellte mich dann an die Poolbar.
Mit diesem Urlaub hatte ich mich selbst belohnen wollen – denn damals kam ich um 6 Uhr morgens ins Büro und ging nicht vor 21 Uhr, arbeitete zu Weihnachten und rang mir Interesse dafür ab, wer bei der TV -Show The Bachelor gewann. Zum ersten Mal seit Monaten hatte ich angefangen, mich zu entspannen. Der Effekt war jetzt natürlich schlagartig dahin. Ich brauchte eine kleine Auszeit. Und eine kleine Stärkung. Ich setzte mich auf einen Unterwasser-Barhocker und winkte dem Barkeeper, der uns die letzten Tage schon bedient hatte.
»So, Hector, wir haben hier eine ganz spezielle Situation«, verkündete ich. »Bring mir eine Flasche Jack Daniel’s und ein Glas.« Ich berichtete ihm kurz, was passiert war. Er nickte verständnisvoll, goss uns jeweils ein Gläschen ein, und wir stießen an.
Kling! Der Alkohol brannte, als er mir durch die Kehle rann. Hector schenkte mir sofort den nächsten ein. Dann nahm ich mich mütterlich einer ganzen Schar von Piña Coladas an und zwang ihn, Rum zuzugießen, bis sie braun wurden. Vierzig Minuten später fand Matt mich weggetreten auf einem Liegestuhl. Auf dem Kopf hatte ich Hectors Baseballkäppi mit der Aufschrift: »Aruba: The bar is open!«
Drei Wochen später tauschte ich karibische Poolbars gegen New Yorker Cafés. Jeden Tag ging ich in eines und studierte die Kleinanzeigen. Es sah aus, als wäre die Wirtschaft über Nacht zusammengebrochen. Wirtschaftsexperten sagten voraus, dass das Land an der Schwelle zu einer langen Rezession stand – die Große Rezession, nannten sie sie. Niemand stellte Leute ein. Nicht mal die Cafés. Ich hatte schon gefragt.
An diesem Morgen war ich in eines gegangen, in dem alle Baristas Piercings und Tattoos trugen. Es kam mir so vor, als würden sie auf mich herabschauen, weil ich mir nur einen Caffè Latte bestellte. Ich stellte meinen in die Jahre gekommenen Laptop auf einen Tisch in Fensternähe, und er erwachte stöhnend zum Leben, als wäre er sauer, zu dieser Stunde schon geweckt zu werden. Während er hochfuhr, schlug ich die Zeitung auf. Eine Überschrift auf der Titelseite lautete: »Im März 80.000 Arbeitsplätze abgebaut«. Im März war auch ich gefeuert worden.
Das Nichtstun fühlte sich komisch an. Früher hatte ich vierzehn Stunden am Tag Blogposts rausgehauen und hysterisch an die dreißig Promi-Websites im Auge behalten, um ja sofort Bescheid zu wissen, wenn es Neuigkeiten gab. Mein BlackBerry hatte pausenlos vibriert, weil mir befreundete Kollegen Klatsch und Tratsch weitergaben, der für mich interessant sein konnte. Einmal hatte ich nach einem neunzigminütigen Flug 119 Mails. Wenn ich nicht in der Arbeit war, erholte ich mich von der Arbeit. Ich fühlte mich so dauerverfügbar, dass ich mich in meiner Freizeit so unverfügbar wie möglich machen wollte. Das bedeutete, dass ich abends nach der Arbeit geradewegs nach Hause ging, mich auf mein IKEA -Sofa fallen ließ und den Leuten im Fernsehen zusah, wie sie Dinge taten, für die ich zu müde war. Monatelang hatte
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