Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
ich das Leben von ungefähr fünfzig fiktiven Personen verfolgt, wusste jedoch nicht, wie es im Leben meiner Freunde aussah. Allein den Gedanken an ein normales Sozialleben fand ich mittlerweile erschöpfend. Eigentlich lehnte ich inzwischen die meisten Einladungen ab: Brunches, Geburtstage, Dinnerpartys, morgendliche Wanderungen. (Ich halte nach wie vor an meiner Meinung fest: Ein echter Freund würde niemals von einem verlangen, vor elf Uhr morgens bergauf zu laufen.) Ich hatte mich darauf verlegt, in erster Linie über Mails, SMS und Facebook zu kommunizieren. Und ich wollte überhaupt keine Leute mehr kennenlernen. Matt wies mich eines Abends darauf hin, dass ich in den drei Jahren unseres Zusammenseins keine einzige neue Bekanntschaft geschlossen hatte.
»Aber ich seh doch schon meine Freunde kaum«, protestierte ich, »da kann ich doch nicht noch ein paar dazutun, sonst seh ich ja gar keinen mehr, und am Ende hab ich weniger Freunde als vorher.«
»Hörst du dir eigentlich zu, wenn du redest?«, fragte er.
»Nein«, antwortete ich und drehte den Fernseher lauter.
In den letzten anderthalb Jahren hatte Matt in Albany gelebt und Artikel zu innenpolitischen Themen geschrieben, deswegen hatte er überhaupt nicht mitbekommen, wie ich mich isolierte. Und ich wollte nicht, dass er sich Sorgen um mich machte, deswegen drehte ich manchmal den Fernseher auf 50 Dezibel, wenn er anrief, und rief ins Telefon: »Hallo, Schatz! Ich bin gerade beim Essen mit Freunden, ich ruf dich an, wenn ich zu Hause bin!« Ich erfand Geschichten von abendlichen Unternehmungen und hatte irgendwann Probleme, den Überblick über mein fiktives Sozialleben zu behalten. Was hatte ich ihm noch mal erzählt, welchen Film hatte ich mir neulich mit Jessica angesehen? Auf wessen Geburtstagsparty war ich angeblich gegangen? Irgendwann musste ich mit der Wahrheit rausrücken, nachdem er mich ein paarmal beim Lügen ertappt hatte und Verdacht schöpfte, ich könnte eine Affäre haben. Ich versicherte ihm, dass ich so etwas niemals tun würde – dazu hätte ich ja vom Sofa aufstehen müssen.
Matt dachte, dass ich nach dem Verlust meines Jobs einen Teil meiner unerschöpflichen Freizeit dafür nutzen würde, mir wieder ein Sozialleben aufzubauen. Aber wenn man in New York lebt, ist der Job der Kern des Daseins. »Und, was machen Sie so?« ist oft das Erste, was einen die Leute fragen, wenn sie einen kennenlernen. Wenn man dann erwidert, dass man gar nichts mache, könnte man genauso gut sagen: »Ich bin nichts.« Mit so einer Antwort kann man Partygespräche spontan zum Erliegen bringen. Solchen unangenehmen Unterhaltungen wollte ich lieber von vornherein aus dem Weg gehen. Matt hatte zwar Verständnis, aber ich merkte, wie er sich anstrengte, mich ab und zu aus der Wohnung zu schleifen. Er hatte es auch langsam satt, Freunden irgendwelche Märchen aufzutischen, warum ich schon wieder nicht mitgekommen war. Ich spürte, wie er darauf wartete, dass ich wieder die vergnügte, gesellige Person wurde, die ich gewesen war, als wir uns kennenlernten. Doch ein Teil von ihm machte sich langsam wirklich Sorgen, dass ich einfach so war, wie ich jetzt war.
Solche Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich auf meinen PC starrte. Auf meinem Bildschirm, der noch vor gar nicht langer Zeit so wild geflackert hatte, dass er epileptische Anfälle hätte hervorrufen können, war nichts mehr los. Doch irgendwie machte mich diese Stille noch viel erschöpfter. Zum ersten Mal in meinem Leben wusste ich nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Was sollte ich jetzt tun?
Als ich vor ein paar Wochen aus Aruba zurückgekommen war, war ich für einen neuen Lebensentwurf bereit gewesen. Ich wollte keine Promi-Blogs mehr schreiben. Es hatte mir zwar gefallen, über die Stars zu schreiben, aber die Celebrity-Landschaft hatte sich in den letzten paar Jahren doch sehr verändert. Immer öfter schrieb ich über Stars aus Reality Shows, Teenager und die Babys der Stars. Mir fiel ein Gespräch wieder ein, das ich vor ein paar Jahren geführt hatte. Ich interviewte Joaquin Phoenix für einen Artikel, und er fragte mich irgendwann: »Wollen Sie wirklich Ihr Leben lang über Leute schreiben, die interessante Sachen machen, statt selbst mal interessante Sachen zu machen?« Okay, Joaquin steuerte damals gerade auf seinen Nervenzusammenbruch zu. Er ließ sich einen langen Bart wachsen, nahm seine Sonnenbrille gar nicht mehr ab, ließ sich nur noch als J.P. ansprechen und machte drei Jahre
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