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Wer nie die Wahrheit sagt

Wer nie die Wahrheit sagt

Titel: Wer nie die Wahrheit sagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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wurde, wie sie dabei schrie, nach mir schrie. Als ich wach wurde, sah ich Beth noch vor mir, ganz deutlich. Ich weiß noch, dass ich einfach dalag und geweint hab, und dann war ich vollkommen erschöpft und wie betäubt.«
    »Sie hatten jede Hoffnung verloren?«
    »Ja, genau. Nichts war mehr etwas wert, vor allem ich nicht. Ich war einen Dreck wert. Alles schien so schwarz, nur noch schwarz. Mir war alles egal.«
    »Also gut, Lily, jetzt fahren Sie von Ihrem Haus fort. Sie sitzen in Ihrem roten Explorer. Was halten Sie von dem Wagen?«
    »Tennyson schimpft immer gleich, wenn ich ihn ›den Wagen‹ nenne. Hab’s schon seit Monaten nicht mehr gemacht. Es ist ein Explorer, nichts anderes, kein ›Wagen‹ oder ›Auto‹, ein Explorer, so heißt er, und so nennt man ihn, aus, basta.«
    »Sie mögen den Explorer nicht besonders, stimmt’s?«
    »Hab ihn von meinen Schwiegereltern zum Geburtstag bekommen. Das war im August. Bin siebenundzwanzig geworden.«
    Dr. Chu erweckte überhaupt nicht den Eindruck, in ihre Patientin zu dringen; sie führte eine Unterhaltung mit einer Bekannten, mehr nicht. Auch streichelte sie nun wieder sanft Lilys linke Hand. Dann blickte sie Savich an und nickte.
    »Lily.«
    »Ja, Dillon.«
    »Wie fühlst du dich, Schätzchen?«
    »So warm, Dillon, so herrlich schön warm. Und ich habe überhaupt keine Schmerzen mehr. Es ist einfach wundervoll. Ich will Dr. Chu heiraten. Sie hat magische Hände.«
    Darüber musste er lächeln und sagte dann: »Freut mich, dass es dir gut geht. Bist du schon auf der zu?«
    »Ja, bin gerade nach rechts in die Straße eingebogen. Der Anfang macht mir nichts aus, aber dann kommt man in den Sequoiawald. Da ist es so düster, so drückend zwischen all den mächtigen Bäumen. Diese Straße kann nur ein Verrückter angelegt haben.«
    »Ganz deiner Meinung. Was denkst du gerade, Lily?«
    »Ich denke, wenn es dunkel ist, wird es aussehen, als hätte jemand einen dunklen Schleier über all die Mammutbäume gebreitet. Wie über Beth. Und das macht mich so traurig, so unendlich traurig, dass ich am liebsten Schluss machen würde, Dillon, einfach Schluss machen. Diese Traurigkeit ist wie ein gieriges, gnadenloses Monster, das mich verschlingen will. Ich hab das Gefühl, es hat sich in meiner Seele eingenistet und wird nie wieder da weggehen. Ich halte das einfach nicht länger aus.«
    »Diese Traurigkeit, dieser Schmerz«, sagte Dr. Chu mit ihrer sanften Stimme, hielt Lilys Hand und drückte sie gelegentlich sanft, »erzählen Sie mir davon.«
    »Die Traurigkeit will mich verschlingen. Und ich will mich ergeben, fallen lassen. Ich weiß, erst wenn die Traurigkeit mich ganz verschlungen hat, erst dann ist meine Schuld gesühnt.«
    »Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass Sie sich umbringen müssen, um alles wieder gutzumachen? Um das Gleichgewicht wiederherzustellen?«
    »Ja. Auge um Auge, Leben um Leben. Mein Leben – das ohnehin nicht viel wert ist – für ihr kostbares kleines Leben.«
    Dann runzelte Lily die Stirn.
    Dr. Chu strich sanft mit der Handfläche über Lilys Unterarm, dann wieder hinunter zu ihrer schlaffen Hand, die sie erneut umfasste. »Was denken Sie jetzt, Lily?«
    »Mir ist gerade klar geworden, dass etwas nicht stimmt. Ich habe Beth nicht getötet. Nein, ich war bei der Zeitung gewesen, habe meinen Cartoon Boots O’Malley gezeigt, wollte seine Meinung hören, wissen Sie?«
    »Ich weiß. Und er hat gelacht, richtig?«
    »Ja. Ich hab gehört, wie der Sheriff später sagte, Beth sei fast zehn Meter weit geschleudert worden.«
    Lily brach ab. Sie drückte Dr. Chus Hand so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.
    »Ganz ruhig, Lily. Es wird alles wieder gut. Ich bin da. Ihr Bruder und Mrs. Savich sind auch da. Vergessen Sie, was der Sheriff gesagt hat. Also, Ihnen wird plötzlich klar, dass Sie Beth nicht getötet haben.«
    »Genau«, flüsterte Lily, und ihre Augenlider flatterten. »Ich merke, dass etwas nicht stimmt. Jetzt fällt mir wieder ein, wie ich diese Schlaftabletten genommen habe, die Tennyson mir auf den Nachttisch gestellt hat. Ich hab so viele genommen, so viele, dass sie mir fast im Hals stecken geblieben sind, und ich habe geschluckt und geschluckt, um sie runterzukriegen, und ich saß da, mit dem Fläschchen in der Hand und dachte, mehr, mehr, mehr, und dann war die Flasche fast leer, und auf einmal dachte ich, halt, Moment, ich will ja gar nicht sterben, aber da war’s schon zu spät, und Beths Tod tat mir so unendlich Leid,

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