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Wer nie die Wahrheit sagt

Wer nie die Wahrheit sagt

Titel: Wer nie die Wahrheit sagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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brauchen Sie keine Angst zu haben, Lily; ich werde Ihnen nicht wehtun.« Sie tätschelte Lilys Hand. Dr. Chu wusste, dass Lily Frasier Künstlerin war, und das bedeutete, sie war kreativ, wahrscheinlich auch sehr intelligent. Menschen wie sie ließen sich gewöhnlich ziemlich leicht hypnotisieren. Mit ihrer sanften Stimme sagte sie: »Also, ich möchte Ihnen helfen, sich an die Ereignisse des vergangenen Mittwochabends zu erinnern. Wollen Sie das?«
    »Ja, ich möchte unbedingt wissen, was wirklich passiert ist. Sagen Sie mir einfach, was ich tun soll. Ich bin noch nie hypnotisiert worden.«
    »Sie müssen gar nichts tun. Entspannen Sie sich einfach.« Sie drückte sanft Lilys Hand.
    Lily spürte, wie die herrliche Wärme in ihrem Innern noch zunahm, wie sie sie bis in die Zehenspitzen erfüllte, wie sie vollkommen ruhig wurde.
    Savich zog sich ebenfalls einen Stuhl heran und ergriff Lilys andere Hand. Eine starke Hand, dachte sie, eine Hand, die ihr Sicherheit gab. Er sagte nichts, saß nur neben ihr, war für sie da. Sherlock saß mucksmäuschenstill auf der kleinen Couch.
    Dr. Chu sagte: »Sie werden das vielleicht ein bisschen eigenartig finden, Lily, aber ich werde keine Uhr vor Ihren Augen schwenken oder Sie bitten, sich auf die Couch zu legen und bestimmte Worte vor sich hin zu sagen. Nein, wir bleiben einfach hier sitzen und unterhalten uns. Wie ich hörte, sind Sie Cartoonzeichnerin. Der Aalglatte Remus, nicht? Interessanter Name. Was bedeutet er?«
    Lily musste unwillkürlich lächeln. Der allzeit gegenwärtige Schmerz über Beths Tod war für den Moment verschwunden. »Remus ist ein Senator aus dem Staat West-Dementia im Mittleren Westen. Er ist sehr intelligent, vollkommen rücksichtslos und amoralisch und förmlich vom Ehrgeiz zerfressen. Und er liebt es, seine Konkurrenten auszumanövrieren. Man nennt ihn auch den« fähigen Remus », im Gegensatz zu« unfähig », weil er immer wieder auf den Füßen landet, egal was passiert, und nie aufgibt, sich immer wieder neue Taktiken einfallen lässt, um zu bekommen, was er will. Er ignoriert einfach das, was die Leute sagen, weil er weiß, dass sie’s sowieso bald wieder vergessen haben werden, er ignoriert das, was wahr ist, und macht so lange weiter, bis er kriegt, was er will. Und im Moment will er die Präsidentschaft und hat zu diesem Zweck bereits einen Freund kaltgestellt.«
    Dr. Chu hob lächelnd eine dünne, perfekt geformte schwarze Braue. »Interessante Charakterstudie. Kommt mir irgendwie bekannt vor.«
    Lily gluckste. »Hab letzte Woche erst wieder einen Strip fertig gestellt. Sein Freund, Gouverneur Braveheart, lässt sich gar nicht gerne kaltstellen und will sich nun wehren. Er ist zwar ganz schön taff, hat aber ein großes Problem – er ist ehrlich. Es ist echt gut, das hoffe ich zumindest.«
    »Haben Sie’s Ihrem Zeitungsredakteur gezeigt?«
    Lily schwieg einen Moment und schloss die Augen. »Nein.«
    »Wieso nicht?«
    »Weil ich mich wieder schlecht fühlte.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Na ja, auf einmal war mir wieder alles egal. Beth war tot und ich nicht, und nichts spielte mehr eine Rolle, weder ich noch meine Arbeit.«
    »Sie fühlten sich toll und kreativ und glücklich, und im nächsten Moment stürzten Sie in eine tiefe Depression?«
    »Ja.«
    »In nur einem Tag?«
    »Ja. Vielleicht auch weniger. Ich weiß nicht mehr.«
    »An dem Tag, als Ihr Mann nach Chicago flog, wie haben Sie sich da gefühlt, Lily?«
    »Eigentlich habe ich gar nichts gefühlt, ich … existierte halt einfach.«
    »Aha, ich verstehe. Und Ihr Mann hat Sie am nächsten Tag – Mittwoch – angerufen und gebeten, einige medizinische Unterlagen zu einem Arzt in Ferndale zu bringen?«
    »Ja, das ist richtig.«
    »Und die einzige Straße dorthin ist die 211?«
    »Ja. Ich hasse diese Strecke, schon von Anfang an. Sie ist so gefährlich. Und es dämmerte bereits. Ich fahre nicht gern um diese Tageszeit, das macht mich immer nervös. Und sehr vorsichtig.«
    »Mich macht es auch nervös. Also, Sie haben noch zwei Tabletten gegen die Depressionen genommen, stimmt’s?«
    »Ja, genau. Und dann habe ich geschlafen. Ich hatte schreckliche Alpträume.«
    »Erzählen Sie mir von diesen Alpträumen.«
    Dr. Chu hielt nicht länger ihre Hand, dennoch spürte Lily diese Wärme, ganz tief in ihrem Innern, bis zum Grund ihrer Seele, so schien es ihr. »Ich hab wieder und wieder gesehen, wie Beth von diesem Auto angefahren wurde, wie sie fast zehn Meter weit geschleudert

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