Wer nie die Wahrheit sagt
aufgetaucht waren; Savich scrollte gelegentlich. Wenige Minuten später hob er den Kopf und blickte in die himmelblauen Augen seiner Frau.
»Überrascht mich nicht. Dich etwa? Ts, ts, unser Tennyson war also schon mal verheiratet, genau wie er’s Lily gesagt hat. Bloß hat er vergessen zu erwähnen, dass seine Frau nur dreizehn Monate nach der Hochzeit Selbstmord beging.«
Savich schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Ich bin so ein Idiot, Sherlock. Ich hätte ihm nicht trauen dürfen, hätte ihn unter die Lupe nehmen müssen, Privatsphäre hin oder her. Was bin ich nur für ein Bruder? Nach diesem Mistkerl, diesem Jack Crane, auf den sie reingefallen ist, hätte ich diesem Bastard in die Nasenlöcher gucken und seine Finanzen durchschnüffeln sollen, wie ein Bluthund. Und weißt du was? Ich hätte ihn nur zu fragen brauchen. Hätte ihn nur zu fragen brauchen, wie seine erste Frau starb.«
»Er hätte wahrscheinlich gelogen.«
»Das wäre egal gewesen. Du weißt ja, dass ich es immer gleich merke, wenn mich jemand anlügt. Zumindest hätte ich das machen können, was ich jetzt mache. Meine Zurückhaltung, mein Respekt vor Lily hätte Lily das Leben kosten können. Du solltest mich ohrfeigen, Sherlock.«
Sherlock wickelte sich eine rotbraune Locke um den Zeigefinger, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie aufgebracht war. Sofort nahm er ihre Hand zwischen seine. Sie sagte: »Ich könnte mich selbst ohrfeigen, Dillon. Glaubst du, Lily hätte ihn trotzdem geheiratet, wenn sie gewusst hätte, dass seine erste Frau sich umgebracht hat?«
»Wir können sie ja fragen. Du kannst wetten, dass sie sich dieselbe Frage stellen wird, wieder und wieder. Aber jetzt ist jetzt, und jetzt sind ihre Augen weit offen. Vor elf Monaten hat sie noch geglaubt, dass sie ihn liebt, dass sie einen wundervollen Vater für Beth gefunden hat. Wenn Tennyson es ihr damals erzählt hätte, hätte er ihr wahrscheinlich Leid getan – der arme Mann, seine Frau auf diese Weise zu verlieren. Wahrscheinlich hatte sie ihn trotzdem geheiratet. Und wenn ich’s ihr gesagt hätte, wäre sie wahrscheinlich stinksauer auf mich gewesen, hätte mich gehasst und ihn trotzdem geheiratet.«
»Also keine Ohrfeigen. Weißt du, Dillon, manchmal denken wir Frauen wirklich mit dem Herzen, nicht wie ihr Männer, ihr denkt ja nur mit dem … Na ja, ich sag’s lieber nicht.«
Er blickte grinsend zu ihr auf. »Nein, lieber nicht.«
»Alles nur Schwindel, Dillon. Schau mal, seine erste Frau – sie hieß Lynda – war stinkreich, hatte einen hübschen, fetten Treuhandfonds von ihrem Großvater geerbt. Mein Gott, sie war erst fünfundzwanzig.«
»Mann, und lies erst mal das hier, Sherlock.« Savich strich sich übers Kinn und fügte angeekelt hinzu: »Dieser amoralische Bastard. Am Ende geht’s doch immer nur um Geld, nicht? Paps hat sich wo reingeritten, und Sohnemann versucht ihn da wieder rauszuholen. Oder vielleicht stecken ja beide bis zum Hals in diesem Sumpf. Scheint mir eher wahrscheinlich,«
»Ja«, pflichtete ihm Sherlock bei. »So richtig prosaisch – bloß ein paar gierige Männer, die alles tun, um zu kriegen, was sie wollen.«
Savich nickte und las zu Ende, was MAX ausgegraben hatte. Dann lehnte er sich zurück und sagte: »Mir scheint es wahrscheinlich, dass Tennyson schon seine erste Frau umgebracht hat und es nun auch bei Lily versucht. Ob der Alte mit ihm unter einer Decke steckt? Sehr wahrscheinlich. Egal, ich will kein Risiko mehr eingehen. Lily muss schleunigst raus hier. Ich möchte, dass du mit ihr in diese nette kleine Frühstückspension ziehst, in der wir mal waren, weißt du noch? Wie hieß sie noch gleich?«
»Das Mermaid’s Tail, gleich um die Ecke bei der Calistoga Street. Es ist Ende Herbst, die Urlaubssaison ist vorbei. Wir sollten also unschwer Zimmer kriegen. Und du?«
»Ich werde mit Tennyson ein gepflegtes vegetarisches Dinner einnehmen. Ich liebe Lasagne. Mal sehen, ob ich ihm was Brauchbares entlocken kann. Ja, der Kerl gehört ordentlich in die Pfanne geknallt. Ich komme dann später zu euch.«
Er erhob sich und zog seine Frau fest an sich. »Nimm MAX mit. Versuch noch mehr aus ihm rauszuquetschen, vielleicht über diese Straße, die Papa Frasier so unbedingt gebaut sehen will, die, die zu dieser Hotelsiedlung an der Küste führt, die er plant. Wenn der Bundesstaat die Genehmigung für den Straßenbau verweigert, kann er sein Projekt in der Pfeife rauchen. Scheint, als ob er Schwierigkeiten hat. Vielleicht
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