Wer nie die Wahrheit sagt
ist ihm das Bestechungsgeld ausgegangen.«
»Vergiss nicht sein anderes Projekt – diese luxuriöse Wohnsiedlung, ›Golden Sunset‹.«
»Ja, alles ziemlich einträgliche Projekte, wenn er sie denn verwirklichen kann. Elcott Frasier hat jetzt schon jede Menge Geld da drinstecken. Ich frage mich, was passiert, wenn sich ihnen noch mehr in den Weg stellt. Vielleicht wollen sie ja deshalb Lily aus dem Weg räumen. Sie brauchen dringend Geld. Also los, dann geht ihr beiden mal packen und verschwindet von hier.«
Aber Lily weigerte sich. Sie war wach, hatte nach wie vor kaum Schmerzen und einen vollkommen klaren Kopf. Sie klatschte sich mit der Handfläche an die Stirn und verkündete begeistert: »Schaut mich nur an – ich bin überhaupt nicht depressiv. Kann mir gar nicht vorstellen, überhaupt je wieder Depressionen zu kriegen. Ja, da drin tickt alles genau richtig, so wie’s sein soll.«
Sie standen im Flur vor ihrem Zimmer. Lily trug eine lose sitzende Jeans und ein ausgebeultes Sweatshirt. Die Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihr Gesicht war vollkommen ungeschminkt, die Hände hatte sie in die Hüften gestemmt. Sie erinnerte Savich an früher, an die Zeit, als sie sechzehn war und stolz aufgerichtet und trotzig vor ihren Eltern stand, die sie wegen ihrer neuesten Wettgeschichten herunterputzten. »Nein, Dillon, ich werde nicht einfach mit eingezogenem Schwanz davonlaufen. Ich will alles lesen, was MAX bis jetzt rausgekriegt hat. Und ich will mir Tennyson vorknöpfen, will hören, was er zu all dem zu sagen hat. Es ist mein gutes Recht, zu erfahren, ob mein Mann mich nur geheiratet hat, um mich aus dem Weg zu räumen. O Gott, wir haben ein Problem. Wieso sollte er’s tun? Ich habe doch gar kein Geld.«
»Unglücklicherweise, mein Schätzchen«, sagte Savich behutsam, »bist du stinkreich. Wir Geschwister vergessen immer, was Großmutter uns vererbt hat.«
»Ach ja, meine Sarah-Elliott-Bilder. Du hast Recht, die vergesse ich andauernd, weil sie immer in irgendeinem Museum hängen.«
»Ja, aber sie gehören dir, alle acht, rechtmäßig dir vermacht. Ich habe vorhin gerade eine E-Mail an Simon Russo in New York geschickt. Du erinnerst dich doch noch an ihn, ja? Hast ihn mal kennen gelernt, als er und ich zusammen auf dem College waren.«
»Ja, ich erinnere mich. Das war allerdings in der Steinzeit, als ich noch nicht ständig alles in meinem Leben vermasselt hab.«
»Doch, das hast du damals auch schon«, bemerkte Savich und stupste sie neckend mit dem Ellbogen. »Weißt du noch diese Wette, die du auf dieses Army-Navy-Spiel laufen hattest? Und wie Paps rausgefunden hat, dass du Mr. Hodges von nebenan zwanzig Dollar abgeknöpft hast?«
»Hab mich in deinem Zimmer unter deinem Bett versteckt, bis er sich wieder abgekühlt hatte.«
Sie lachten. In Sherlocks Ohren klang das wie Musik. Lily depressiv? Wenn man sie jetzt so sah, konnte man sich kaum vorstellen, dass sie je Depressionen gehabt hatte.
Lily sagte: »Ja, ich erinnere mich an Simon Russo. Eine richtige Nervensäge. Ich weiß noch, du hast mir zugestimmt, hast aber gesagt, das sei egal, weil er ein so guter wide receiver ist.«
»Ja, genau der Simon. Steckt jetzt total im Kunstgeschäft, weißt du. Hat mir sofort geantwortet, meinte, dass acht Sarah Elliotts derzeit acht bis zehn Millionen Dollar wert sind.«
Lily starrte ihn fassungslos an. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, du nimmst mich auf den Arm, oder? Bitte sag, dass das nur ein Scherz ist, Dillon.«
»Leider nein. Die Bilder haben seit Großmutters Tod vor sieben Jahren beständig an Wert gewonnen. Jedes der vier Enkelkinder bekam acht Bilder. Jedes Bild ist derzeit eine glatte Mille wert, mehr oder weniger. Sagt Simon.«
»Das ist ja eine enorme Verantwortung, Dillon.«
Er nickte. »Ich glaube, wir alle halten uns, wie du, für die Bewahrer und Beschützer dieser Bilder; wir sind, so lange wir leben, dafür verantwortlich, dass sie sicher aufgehoben und der Öffentlichkeit zugänglich sind. Hast du deine nicht dem Chicago Art Institute zur Verfügung gestellt? Sind sie noch dort?«
»Nein. Als Tennyson und ich geheiratet haben, fand er, sie sollten in einem der hiesigen Museen ausgestellt werden, näher an unserem Wohnort. Also habe ich sie ins Eureka Art Museum umsiedeln lassen.«
Ohne Zögern erkundigte sich Savich: »Kennt Tennyson jemanden aus dem Museum?«
Leise antwortete Lily: »Elcott Frasier gehört zum Vorstand des Museums.«
»Bingo.« Sherlock
Weitere Kostenlose Bücher