Wer nie die Wahrheit sagt
zeigte sich zufrieden.
Als Tennyson Frasier an diesem Abend sein Haus betrat, kam seine Frau gerade die Treppe herunter und blickte ihm entgegen. Sie sah, wie sich seine Augen mit Liebe und Sorge füllten. Aber er brauchte nicht lange, um zu merken, dass etwas im Busch war. Er witterte es, wie ein Tier eine unmittelbare Gefahr wittert. Seine Schritte verlangsamten sich, doch als er Lily erreichte, die am Fuß der Treppe stehen geblieben war, nahm er ihre Hände und sagte sanft: »Lily, Liebes, du bist sehr blass. Bestimmt hast du noch Schmerzen. Die Operation ist ja noch nicht lange her. Bitte, Schätzchen, lass dich von mir ins Bett bringen. Du brauchst noch viel Ruhe.«
»Weißt du, Tennyson, eigentlich geht’s mir prima. Du brauchst dich nicht zu sorgen. Mrs. Scruggins hat uns was Tolles zum Essen gemacht. Hast du Hunger?«
»Wenn du unbedingt unten am Tisch essen willst, dann ja, ich habe Hunger.« Er warf Schwager und Schwägerin, die soeben aus dem Wohnzimmer in die Diele traten, einen misstrauischen Blick zu. »Hallo, Sherlock. Savich.«
Savich nickte nur.
»Ich hoffe, du hattest einen angenehmen Tag, Tennyson«, sagte Sherlock mit einem viel zu sonnigen Lächeln. Sie hoffte, er merkte noch nicht, dass sie ihn am liebsten mit seiner Krawatte erwürgt hätte.
»Nein, eigentlich nicht«, erwiderte Tennyson. Er wich einen Schritt von Lily zurück und schob die Hände in die Taschen, wandte die Augen aber keine Sekunde von seiner Frau ab. »Der alte Mr. Daily ist ganz fertig, weil seine Medikamente nicht mehr wirken. Er meint, er würde sich am liebsten den Lauf seines Gewehrs in den Mund stecken. Er hat mich an dich erinnert, Lily, diese absolute Hoffnungslosigkeit, mit der der Verstand einfach nicht mehr fertig wird. Es war ein schrecklicher Tag. Ich hatte nicht mal Zeit, dich noch mal zu besuchen, bevor du aus dem Krankenhaus entlassen wurdest. Tut mir Leid.«
»Na ja, solche Unannehmlichkeiten kommen eben manchmal vor, nicht?« Sherlock tätschelte seinen Arm und lächelte nur über den erzürnten Blick, den er ihr zuwarf.
Savich zwinkerte ihr zu, als sie sich auf den Weg ins Esszimmer machten.
Tennyson half Lily liebevoll auf ihren Stuhl an dem langen Esszimmertisch. Lily liebte diesen Raum. Sie hatte ihn nach dem Einzug gelb streichen und die schweren Möbel entfernen lassen. Jetzt war alles modern eingerichtet, mit einem glänzenden italienischen Art-déco-Tisch, Stühlen und Geschirrschränkchen in demselben Stil. An den Wänden hingen fünf Art-déco-Poster in leuchtenden Farben und mit stilisierten Figuren. Tennyson hatte kaum Platz genommen, als Mrs. Scruggins auch schon das Essen servierte. Normalerweise stellte sie es ins Backrohr zum Warmhalten und ging dann, aber nicht heute Abend.
Tennyson sagte: »Guten Abend, Mrs. Scruggins. Nett von Ihnen, noch zu bleiben.«
»Aber gerne, Dr. Frasier«, antwortete sie.
Sherlock, die zusah, wie sie Lasagne auf Lilys Teller häufte, wusste, dass Mrs. Scruggins erst gehen würde, wenn man sie rauswarf. »Ich konnte wohl kaum gehen, wo Mrs. Frasier endlich wieder heimgekommen ist, nicht?«
Savich hätte fast gegrinst. Mrs. Scruggins wollte alles hören. Sie spürte, dass was Brenzliges in der Luft lag, wenn auch nichts Genaues, aber doch zumindest so viel, dass die Luft noch weit brenzliger werden würde.
Lily biss von einem gebackenen Brötchen ab, das einfach göttlich schmeckte, und sagte dann zu ihrem Mann: »Ach ja, Tennyson, ich hoffe, es freut dich zu hören, dass ich doch nicht versucht habe, mich mit dem Explorer umzubringen. Tatsächlich haben weder die Bremse noch die Notbremse funktioniert. Und auf dieser Mörderstrecke hatte ich kaum eine Chance. Jetzt bist du doch bestimmt zutiefst erleichtert, oder?«
Tennyson schwieg, blickte sie stirnrunzelnd über eine Gabel mit Lasagne hinweg an, die auf halbem Weg zum Mund ins Stocken geraten war. Er nahm den Bissen, kaute, dann sagte er langsam, den Kopf zur Seite geneigt: »Es ist dir wieder eingefallen, Lily?«
»Ja, es ist mir wieder eingefallen.«
»Ach, dann meinst du wohl, dass du deine Meinung geändert hattest? Aber dass es zu spät war, weil die Bremsen versagten?«
»Ganz genau. Ich merkte, dass ich mich überhaupt nicht umbringen wollte, aber da war es schon zu spät, weil offenbar jemand meine Bremsen manipuliert hatte.«
»Jemand? Ach komm, Lily, das ist doch absurd.«
Leichthin warf Savich ein: »Unglücklicherweise ist der Explorer gleich am nächsten Tag in der
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