Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)
passiert, meinte sie.«
Emma lehnte sich kaum merklich zu der Frau.
»Sie sind das, ja? Was war denn passiert?«
Aber die Frau schüttelte nur den Kopf und trat noch einen Schritt zurück. Mit klammen Fingern zog sie eine Zigarettenschachtel aus ihrer Jackentasche und steckte sich eine Zigarette in den Mund. Unbeholfen fuhr sie mit den Händen in alle Taschen, fand das offenbar Gesuchte nicht und nahm die Zigarette wieder aus dem Mund.
»Ich weiß gar nichts und will auch keine Scherereien.«
Emma seufzte innerlich. Sie wandte sich an den zweiten Mann in der Runde, einen kleinen runden Herrn im fast bodenlangen Wollmantel. Die wenigen Haare hatte er sorgfältig über den Kopf gekämmt, und hinter seinem Ohr klemmte ein schmales beiges Hörgerät. Zu ihrem Erstaunen glaubte Emma Tränenspuren auf dem zerfurchten Gesicht zu sehen.
»Sie sehen sehr traurig aus. Kennen Sie den Mann?«
Obwohl Emma die Stimme gesenkt hatte, war der alte Mann bei der Ansprache zusammengezuckt. Er schien einen Moment zu überlegen, aber dann nickte er.
»Ein feiner Mann. Lehrer, hier an der Grundschule. Er hilft mir manchmal mit den Einkäufen.«
Die Stimme des alten Mannes klang rau, beim letzten Wort brach sie. Er sah Emma bittend an.
»Es ist doch nichts Schlimmes passiert, oder? Doch nicht hier in der Gegend!«
Ein schwarzes Auto fuhr langsam durch die Straße, die kleine Gruppe um Emma schaute auf. Die Frau ließ einen trockenen Schluchzer hören, der alte Mann fasste rückwärts nach einem Halt und stützte sich schließlich schwer atmend auf den schmiedeeisernen Zaun des Vorgartens. Der Leichenwagen hielt vor dem rot-weißen Band, der Fahrer wartete bei laufendem Motor. Ein Polizist kam aus dem Haus und hob das Band an, der Wagen fuhr durch und hielt direkt vor dem Haus. Zwei Männer in schwarzen Anzügen stiegen aus. Sie traten hinten an den Wagen heran, zogen einen Sarg heraus und verschwanden damit im Haus. Die Frau bei Emma schlug ihre Hände vor den Mund und lief kopfschüttelnd in ein Haus weiter oben in der Straße. Der alte Mann sagte weinerlich:
»Die arme Frau!«
Emma drehte sich zu ihm um.
»War Lukas Brinkmann verheiratet?«
Der Mann schüttelte den Kopf.
»Er hat eine Freundin. Eine ganz hübsche. Die arme Frau …«
»Wissen Sie zufällig, wie die Freundin heißt oder ob sie hier irgendwo in der Gegend wohnt?«
Der Mann schwieg, er schien Emma kaum mehr wahrzunehmen. In seinem fahlen Gesicht zeichneten sich jetzt deutlich die Altersflecken ab. Seine Augen bekamen einen harten Glanz, als er murmelte:
»Dass die jetzt schon hier sind, die …«
Emma stutzte und fragte:
»Wen meinen Sie mit ›die‹?«
Der Mann starrte gebannt auf die Tür, hinter der die Mitarbeiter des Begräbnisinstitutes verschwunden waren. Erst nach einer Weile schien er Emmas Frage registriert zu haben. Er schob sich seine flaumigen Haare wieder sorgfältig über den fast kahlen Kopf und sagte dann leise:
»Na, diese Banden. Ausländer. Asylanten.«
Emma sah erstaunt auf den alten Mann. Dann schaute sie zum Jogger, aber der zuckte nur mit den Schultern und lief in langsamen regelmäßigen Schritten von ihnen weg die Straße hoch. Emma dreht sich zu dem alten Mann und fragte:
»Wen meinen Sie? Wie kommen Sie denn darauf?«
Der Mann zog seinen Mantel jetzt enger um seine Schultern. Fast verächtlich sah er Emma an.
»Na, wer denn sonst?« Dann ging er mit kleinen, aber festen Schritten zu seinem Haus, öffnete die Gartentür und verschwand hinter der Haustür. Emmas gerufene Frage nach seinem Namen ignorierte er.
Emma speicherte die Aufnahme ohne große Überzeugung, etwas davon gebrauchen zu können. Mit einem Seitenblick auf das offene Fenster in ihrem Rücken sagte sie halblaut:
»Falls Sie Lust haben, sich mit mir zu unterhalten, brauchen Sie das nur zu sagen. Ich komme auch gerne zu Ihnen hinein.«
Einen Moment lang war Stille. Dann schloss sich das Fenster leise, und die Vorhänge wurden mit einem ent schlossenen Ruck zugezogen.
Emma wartete über eine Stunde auf ein Interview mit dem Polizeisprecher. Sie saß mit Manuel im Ü-Wagen, trank den Kaffee, den er mitgebracht hatte, und telefonierte mit der Wochenendredakteurin. Die Fotografen der Zeitungen und Agenturen schossen ihre Bilder, als die Männer vom Beerdigungsinstitut den Sarg heraustrugen. Emma sprach ei nen Polizeibeamten über das Absperrband hinweg an, der schweigend den Abtransport beobachtete, aber er schüttelte den Kopf. Der Polizeisprecher sei vor
Weitere Kostenlose Bücher