Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)
Mundwinkel wieder geradezog.
»Er ist zusammengeschlagen worden und anschließend, mh, also quasi erdolcht worden. Mit einem scharfen Gegenstand.« Der Mann räusperte sich.
»Es muss einen ziemlich heftigen Kampf gegeben haben. Vielleicht sind die Täter auch verletzt. Sicher sind sie voller Blut.«
Er merkte, dass er den steifen Amtsjargon verlassen hatte und blickte jetzt wieder geradeaus in die Kamera.
»Wir bitten die Bevölkerung, uns bei derartigen Vor kommnissen zu unterstützen. Die Täter sind vermutlich mit dem Auto entkommen. Vielleicht hat jemand sie gesehen? Sachdienliche Hinweise nimmt jede Polizeidienststelle entgegen.«
Emma überlegte, wie sie ihre Frage unbemerkt von den Kollegen stellen könnte, aber da sich der Pressesprecher bereits umdrehte, blieb ihr keine andere Wahl, als das Thema vor aller Ohren anzusprechen.
»Ein Nachbar meinte eben, da steckten vermutlich Ausländer dahinter«, Emma hatte den Satz kaum ausgesprochen, da fuhren alle Köpfe zu ihr herum. Sie sah, wie die Kollegen von der Presse bereits etwas auf ihren Block schrieben, und fluchte innerlich. Vermutlich war ihre Frage jetzt Anlass für eine weitere populistische Schlagzeile.
»Gibt es einen Anlass für so eine Vermutung?«
Der Pressesprecher tat erstaunt. Er versuchte zu lachen, was ihm aber misslang.
»Wissen Sie, es wird schnell viel vermutet in der Nachbarschaft. Dafür gibt es nicht den geringsten Hinweis.«
Der Zeitungskollege fragte: »Wie werden die Ermittlungen jetzt weitergehen?«
Der Beamte schien sich einen Moment zu sammeln. Dann schaute er wieder mit festem Blick in die Fernsehkamera.
»Wir werden jetzt die Spuren sichern und die Tat aufklären. Durch das schnelle Eingreifen und das Know-how der Berliner Polizei wird dieser Fall bald gelöst sein.«
Klar, dachte Emma. Ihr Arm mit dem Mikrofon wurde schwer. Der Polizeisprecher räusperte sich.
»Ich kann Sie nur noch mal nachdrücklich auffordern, den Appell der Polizei weiterzuleiten: Wir bitten die Bevölkerung, sich bei Hinweisen zu den Hintergründen der Tat oder Beobachtungen an die nächste Dienststelle der Polizei zu wenden.« Dann machte er eine halbe Drehung und sagte noch: »Das war’s, meine Damen und Herren.«
Das Licht der Fernsehkamera erlosch, die Journalisten überflogen die zitierfähigen Sätze. Die Freelancerin sagte leise zu dem Kameramann vom Fernsehteam:
»Das heißt also, sie haben keine Ahnung, was hier passiert ist.«
Der Kameramann lachte, der Beamte zuckte leicht zusammen. Er presste seine Papiere an die Brust und warf der Frau einen Blick zu. Dann drehte er sich um und ging schnell wieder zurück ins Haus.
Emma ging mit steifen Knien zu ihrem Fahrrad und schloss auf. Manuel hatte die Aufnahme bereits ins Funkhaus gesendet, sich von ihr verabschiedet und war vorgefahren. Für ihn blieb es heute bei diesem Einsatz, das Straßenfest, für das der Ü-Wagen ursprünglich eingeplant gewesen war, war vorbei. Er hatte seinen Dienst mit Kaffeetrinken und Zeitunglesen verbracht, unterbrochen von den kurzen Einspielern ins Nachrichtenfach. Manche Techniker waren froh über so einen Arbeitstag. Seit die Reporter selber in der Lage waren, die Töne digital zu bearbeiten, waren die Aufgaben der Techniker zusammengeschrumpft. Meist ging es nur noch darum, den Sendemast hochzufahren und das Mikro aufzumachen. Auch die Reporter mussten in der Regel nicht mehr als ein paar O-Töne zur Verfügung stellen. Lange Sendestrecken, die Live-on-tape, also ohne Unterbrechung eingespielt wurden, aufwendige Reportagen oder kunstvoll komponierte Collagen waren nur noch selten gefragt. Die Beratungsfirmen, die wie riesige Kehrmaschinen durch die deutsche Radiolandschaft gedröhnt waren und flächendeckend ein Radioformat auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner des Durchschnittshörers entwickelt hatten, nannten solche Beiträge Bremsen im Programm, Abschalter, Wegzapper. Außergewöhnliche Sendungen irritierten den Nebenbeihörer, störten im Hintergrundfluss von Servicemeldungen, launigen Moderatorenhinweisen und den bekannten Hits vergangener Tage. Da Emma hauptsächlich als Polizeireporterin arbeitete, war sie von der Entwicklung noch nicht so betroffen wie andere Kollegen. Mord und Totschlag waren noch immer interessant. Aber sie sah, was die Degradierung zum bloßen Mikrofonständer mit den Kollegen machte. Viele waren verbittert, manche wurden krank. Andere, vor allem die, die noch eine der raren Festanstellungen bekommen hatten, stumpften ab
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