Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
Vom Netzwerk:
Erklärungen, die die Vertreter der Zufallstheorie für die industrielle Revolution im Westen liefern – von Pomeranz’ Glücksfall, der eine weltweite Katastrophe abgewendet hat, bis zu Franks vorübergehender Verschiebung innerhalb einer expandierenden Weltwirtschaft –, sind so unterschiedlich wie die Argumente, die, sagen wir, Jared Diamond und Karl Marx für die langfristige Determiniertheit der Ereignisse ins Feld führen. Aber bei allen Kontroversen innerhalb der beiden Lager ist es doch die Frontlinie
zwischen
ihnen, der wir die gegensätzlichsten Theorien dazu verdanken, wie die Welt funktioniert. Für manche Vertreter der Determiniertheitstheorie sind die Zufallstheoretiker nichts weiter als lumpige Verkäufer einer politisch korrekten Pseudowissenschaft; |30| diese wiederum beschimpfen erstere oft als prowestliche Apologeten oder gar als Rassisten.
    Wenn so viele Fachleute zu derart unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen, liegt die Vermutung nahe, dass mit der Art, wie wir bisher an das Problem herangegangen sind, etwas nicht stimmt. Ich vertrete in diesem Buch die Meinung, dass beide Lager die geschichtliche Entwicklung falsch verstanden haben und darum zu unvollständigen und widersprüchlichen Ergebnissen gelangen mussten. Was Not tut, ist meiner Ansicht nach eine andere Perspektive.
    Die Konturen der Geschichte
    Damit meine ich, dass sich zwar beide Lager darin einig sind, dass der Westen in den letzten zwei Jahrhunderten die weltbeherrschende Macht war, nicht aber in der Frage, wie die Welt vorher aussah. Alles dreht sich um diese unterschiedliche Sicht der vormodernen Geschichte. Wir können das Problem nur lösen, indem wir diese früheren Zeitabschnitte unter die Lupe nehmen und die Entwicklung der Geschichte in Umrissen definieren. Nur auf dieser Grundlage können wir produktiv darüber debattieren, warum alles so geworden ist, wie es ist.
    Genau das scheint aber kaum einer zu wollen. Die meisten Autoren, die sich dazu äußern, warum der Westen die Welt regiert, haben Wirtschaftswissenschaften, Soziologie, Politologie oder Neuere Geschichte studiert; sie kennen sich vor allem mit den Ereignissen der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit aus und neigen dazu, den Blick nur auf die letzten paar Generationen zu richten. Sie gehen allenfalls fünfhundert Jahre zurück und streifen die frühere Geschichte nur flüchtig, wenn überhaupt – obwohl es doch um die Frage geht, ob die Faktoren, die zur Vorherrschaft des Westens führten, schon in früheren Zeiten vorhanden waren oder erst in der Moderne unvermittelt hervortraten.
    Einige wenige gehen ganz anders an die Frage heran: Sie blicken weit zurück auf die Vorgeschichte, machen dann einen Riesensprung zur Moderne und lassen sich nur wenig über die Jahrtausende aus, die dazwischen liegen. Alfred Crosby, emeritierter Professor für Geschichte und Geographie, spricht aus, was die meisten Vertreter dieser Richtung als gesicherte Tatsache betrachten – dass nämlich die Erfindung der Landwirtschaft in vorgeschichtlicher Zeit von entscheidender Bedeutung gewesen sei –, und fährt fort: »Zwischen diesem Zeitalter und der Entstehung der Gesellschaften, die Kolumbus und andere Seefahrer auf die Weltmeere hinaussandten, liegt eine Zeitspanne von 4000 Jahren, in der sich wenig wirklich Bedeutsames ereignet hat, jedenfalls
im Vergleich mit den vorangegangenen Zeiten.
« 6
    Darin, so glaube ich, irrt er sich. Wir werden keine Antworten finden, wenn wir unsere Suche auf die Vorgeschichte oder auf die Moderne beschränken (ebensowenig, beeile ich mich hinzuzufügen, wie wenn wir nur auf die vier- oder fünftausend Jahre blicken würden, die dazwischen liegen). Vielmehr müssen wir die Geschichte |31| der Menschheit im Ganzen betrachten und deren Konturen definieren, bevor wir uns darüber Gedanken machen, warum sie diese Konturen aufweist. Genau das werde ich in diesem Buch versuchen und mich dabei auf ein etwas anderes wissenschaftliches Instrumentarium stützen.
    Ich habe Archäologie und Geschichte mit Schwerpunkt klassische Antike studiert. Als ich mich 1978 an der Universität Birmingham einschrieb, schienen die meisten Professoren vollkommen überzeugt zu sein von der Langfristtheorie, der zufolge die alten Griechen mit ihrer vor 2500 Jahren entstandenen Kultur das Leben der westlichen Welt entscheidend geformt haben. Einige von ihnen (vor allem die Älteren) vertraten sogar unumwunden die Ansicht, dass es aufgrund dieser griechischen

Weitere Kostenlose Bücher