Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
Wurzeln keine bessere als die westliche Kultur geben könne.
Soweit ich mich erinnere, empfand ich all das auch keineswegs als problematisch, bis ich Anfang der 1980er Jahre mit den Recherchearbeiten für meine Promotion anfing und mich im Zuge dessen mit den Ursprüngen der griechischen Stadtstaaten beschäftigte. Das wiederum brachte mich in Berührung mit einer Gruppe von Anthropologen und Archäologen, die ähnliche Entwicklungen in anderen Teilen der Welt erforschten. Konfrontiert mit der altbekannten Vorstellung, dass die griechische Kultur einmalig sei und eine unverwechselbare westliche Tradition der Demokratie und Vernunft begründet habe, lachten sie nur. Wie viele Menschen brachte ich es fertig, jahrelang mit zwei widersprüchlichen Bildern im Kopf zu leben: dass sich die griechische Kultur nämlich einerseits in gleicher Weise entwickelt habe wie andere frühgeschichtliche Gesellschaften auch und dass sie andererseits die Zielrichtung des Westens eindeutig vorgegeben habe.
Der Spagat fiel mir schwerer, nachdem ich 1987 meine erste Professorenstelle in Chicago angetreten hatte. Ich unterrichtete dort im Rahmen der renommierten Seminarreihe »Geschichte der Westlichen Zivilisation«, die den Zeitraum von der griechischen Antike bis zur Gegenwart (in diesem Fall schon bald der Untergang des Kommunismus) beleuchtete. Um meinen Studenten auch nur einen Tag voraus zu sein, musste ich mich viel ernsthafter mit dem Mittelalter und der Moderne in Europa befassen, als ich es je getan hatte, und dabei fiel mir auf, dass die Errungenschaften der Freiheit, der Vernunft und des kreativen Denkens, die Griechenland dem Westen angeblich als sein kulturelles Vermächtnis hinterlassen hatte, über lange Zeiträume hinweg eher durch Abwesenheit glänzten als durch übermäßige Beachtung. Bemüht, mir darauf einen Reim zu machen, stellte ich fest, dass die Abschnitte der Vergangenheit, die ich nunmehr ins Auge fasste, immer größer wurden. Und zu meiner Überraschung entdeckte ich immer stärkere Parallelen zwischen der angeblich so einzigartigen Entwicklung des Westens und der Geschichte in anderen Regionen der Welt, insbesondere in den großen Zivilisationen Chinas, Indiens und Persiens.
Universitätsprofessoren beschweren sich nur allzu gern über die Verwaltungsarbeit, die auf ihren Schultern lastet, aber als ich 1995 nach Stanford wechselte, merkte ich bald, dass man am besten erfährt, was sich außerhalb des eigenen |32| Fachgebiets tut, wenn man Ämter in irgendwelchen Gremien übernimmt. In der Folge habe ich das Institute for Social Science History und das Archäologische Zentrum geleitet, den Vorsitz der altphilologischen Fakultät und den stellvertretenden Vorsitz der philosophischen Fakultät übernommen und überdies eine größere archäologische Grabung durchgeführt – was mir insgesamt jede Menge Schreibarbeit und Kopfschmerzen eingebracht, mir andererseits aber auch die Chance geboten hat, mich mit Fachleuten aus allen Wissensgebieten von der Genetik bis zur Literaturkritik auszutauschen, die möglicherweise zur Beantwortung der Frage, warum der Westen die Welt regiert, etwas beizutragen haben.
Eines habe ich vor allem gelernt: Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns ihr auf breiter Front nähern und das Hauptaugenmerk der Historiker auf größere Zusammenhänge, das Bewusstsein der Archäologen für die ferne Vergangenheit und die vergleichenden Methoden der Sozialwissenschaftler miteinander verbinden. Eine solche Verbindung lässt sich herstellen, wenn man ein multidisziplinäres Team von Spezialisten zusammenstellt und tief aus dem Wissenspool verschiedener Fachrichtungen schöpft. Und genau das habe ich getan, als ich mich entschloss, eine archäologische Grabung auf Sizilien zu leiten. Mir fehlten die notwendigen Kenntnisse der Botanik, um die verkohlten Samen zu analysieren, der Zoologie, um die Knochenfunde zuzuordnen, der Chemie, um die Rückstände in Vorratsbehältern zu identifizieren, der Geologie, um den Entstehungsprozess landschaftlicher Merkmale zu rekonstruieren. Kurz gesagt, es fehlte mir an unverzichtbarem Fachwissen aller Art, und darum suchte ich mir Spezialisten, die diese meine Wissenslücken ausfüllten. Ein Grabungsleiter bringt wie eine Art akademischer Impresario die Künstler zusammen, die dann gekonnt die Bühnenshow gestalten.
Nun ist dies zwar eine gute Methode, einen Grabungsbericht zu erstellen, bei dem es darauf ankommt, möglichst viele Daten zu sammeln und
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