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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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halten.« 41 Doch Europa schlug seinen Rat in den Wind.
    Die Weltkriege
    Zwischen 1914 und 1991 trug das westliche Kerngebiet die größten Kriege der Geschichte aus: Im Ersten Weltkrieg zwischen 1914 und 1918 und im Zweiten Weltkrieg zwischen 1939 und 1945 ging es jeweils um die Frage eines deutschen Festlandsimperiums in Europa und im Kalten Krieg zwischen 1947 und 1991 um die Frage, welcher Anteil der Beute den Vereinigten Staaten und welcher der Sowjetunion zustand (Abbildung 10.8). Zusammen summierten sie sich zu einem neuen Krieg des Westens, der seinen Vorläufer im 18. Jahrhundert weit in den Schatten |508| stellte. Er schloss den Krieg des Ostens ein, hinterließ 100 Millionen Tote und bedrohte das Überleben der Menschheit selbst. 1991 herrschte der Westen noch immer, doch immer mehr Zeitgenossen dünkte es, dass sich Kuropatkins Befürchtungen schließlich bewahrheiten könnten: Der Osten stand bereit, ihn zu überholen.
    Die Geschichte, wie der neue Krieg des Westens begann, ist oft erzählt worden: wie der lange Niedergang des Osmanischen Reiches im Balkan Tausende von Terroristen respektive Freiheitskämpfern auf den Plan rief; wie es durch Stümperei und Pech einer Bande namens Schwarze Hand gelang, im Juni 1914 den österreichisch-ungarischen Thronfolger zu ermorden (die vom ersten Attentäter geworfene Bombe prallte vom Auto des österreichischen Erzherzogs Franz Ferdinand ab, sein Fahrer nahm jedoch später eine falsche Straße, musste wenden und hielt direkt vor einem zweiten Attentäter, der sich die Gelegenheit nicht entgehen ließ); und wie das Netz von Verträgen, die den Frieden in Europa wahren sollten, alle Mächte gemeinsam in den Abgrund zog.
    Was folgte, ist ebenso gut bekannt: wie Europas modernisierte Staaten ihre jungen Männer in beispielloser Zahl mobilisierten, sie mit unerhörten Waffen ausrüsteten und die enormen Kräfte ihrer Armeen zu einem nie gekannten Gemetzel missbrauchten. Vor 1914 hielten optimistische Intellektuelle Kriege zwischen den Großmächten für unmöglich: Die Volkswirtschaften seien nun so stark miteinander verflochten, dass sie im Kriegsfall alle zusammenbrechen müssten und der Konflikt ein rasches Ende fände. 1918 jedoch schien die Lehre des Ersten Weltkriegs eher zu sein, dass nur solche Staaten, die ihre riesigen, komplexen Wirtschaften wirkungsvoll für ihre Zwecke einzuspannen vermochten, den totalen Krieg des 20. Jahrhunderts mitsamt seinen Folgen und Belastungen überstehen konnten.
    Der Krieg hatte offenbar gezeigt, dass der Vorteil bei den liberalen, demokratischen Staaten lag, deren Bürger am überzeugtesten in die Schlacht zogen. Einst, im 1. Jahrtausend v. u. Z., hatten die Menschen im Osten und Westen gleichermaßen gelernt, dass dynastische Reiche die zur Kriegführung effektivsten Organisationen waren. Nun, im Laufe einer einzigen Dekade, erfuhren sie, dass diese dynastischen Reiche – die beständigste Regierungsform der Geschichte, deren nahtloses Erbe auf Assyrien, Persien und das Qin-Reich zurückging – nicht länger mit dem Krieg vereinbar waren.
    Als Erste verabschiedete sich die Qing-Dynastie in China. Im Sumpf von Schulden, Niederlage und Chaos verloren die Minister des Kindkaisers Pu Yi bereits 1911 die Kontrolle über das Heer, doch als sich der Rebellengeneral Yuan Shikai 1916 selbst zum Kaiser ausrief – wie es Rebellengeneräle seit 2000 Jahren getan hatten –, musste er feststellen, dass auch er das Land nicht mehr zusammenhalten konnte. Eine andere Militärclique setzte Pu Yi 1917 wieder ein, doch war das Ergebnis nicht besser. Chinas imperiale Geschichte endete ein paar Tage darauf, wenn schon nicht sang- und klanglos, so doch nur mit einem sehr mäßigen Knall:

    [Bild vergrößern]
    Abbildung 10.8: Die Welt im Krieg, 1914–1991

Grau eingezeichnet sind die Vereinigten Staaten und ihre wichtigsten Alliierten um 1980, schraffiert die Sowjetunion und ihre Hauptverbündeten.
    |510| Ein einziges Flugzeug ließ eine Bombe auf die Verbotene Stadt in Beijing fallen, Pu Yi wurde abermals abgesetzt, und das Land verfiel in Anarchie.
    Als Nächste kam Russlands Romanow-Dynastie an die Reihe. Die Niederlage gegen Japan hatte 1905 fast schon zum Sturz von Zar Nikolaus II. geführt, doch das erledigte dann der Erste Weltkrieg. 1917 wurde seine Familie erst von den Liberalen gestürzt, dann 1918 von den Bolschewiken erschossen. Deutschlands Hohenzollern und Österreichs Habsburger folgten rasch und entgingen dem Schicksal der

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