Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
Japans südlicher Insel Kyushu verbreitet, doch die Ausbreitung des Ackerbaus erlitt auf der Hauptinsel Honshu einen weiteren Rückschlag. Und bis er im Norden auf Hokkaido, wo die Möglichkeiten des Nahrungsammelns besonders üppig waren, Fuß fassen konnte, dauerte es weitere 1200 Jahre. Zuletzt aber verdrängte der Ackerbau das Jagen und Sammeln in Asien ebenso gründlich wie im Westen.
Kochen und Backen, Schädel und Gräber
Wie können wir uns all das erklären? Gewiss waren Osten und Westen unterschiedlich, von den Nahrungsmitteln, die die Menschen zu sich nahmen, bis hin zu den Göttern, die sie verehrten. Niemand könnte Jiahu mit Jericho verwechseln. Aber waren die kulturellen Gegensätze wirklich so stark, dass sich daraus die Vorherrschaft des Westens erklären ließe? Oder waren die unterschiedlichen kulturellen Traditionen nur zwei Wege, das Gleiche zu tun? Tabelle 2.1 fasst die Befunde zusammen. Dabei, so denke ich, fällt dreierlei sofort auf.
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Abbildung 2.8: Gehet hin und mehret euch, Version II
Die Ausbreitung des Ackerbaus aus den Tälern von Jangtse und Gelbem Fluss heraus, 6000 bis 1500 v. u. Z.
Erstens: Wenn die vor 10 000 Jahren im Fruchtbaren Halbmond geschaffene Kultur, von der die späteren westlichen Gesellschaften abstammen, tatsächlich |136| ein größeres Potenzial für die gesellschaftliche Entwicklung hatte als die im Osten geschaffene Kultur, sollten wir eigentlich auf dieser Tabelle größere Unterschiede zwischen beiden entdecken können. Das ist aber nicht der Fall. Tatsächlich geschah in Ost und West so ziemlich das Gleiche. Beide Regionen erlebten die Domestizierung von Hunden, die Kultivierung von Pflanzen und die Domestizierung von großen (über 50 Kilogramm schweren) Tieren. In beiden kam es zur schrittweisen Entwicklung der »Voll-Landwirtschaft« (womit ich ertragreiche, arbeitsintensive Systeme mit vollständig domestizierten Pflanzen, mit Reichtum und Geschlechterhierarchie meine), zum Aufstieg großer Siedlungen (mit über 100 Bewohnern) und, nach weiteren 2000 bis 3000 Jahren, von Städten (mit über 1000 Einwohnern). Menschen beider Regionen errichteten ausgeklügelte Bauwerke und Befestigungen, experimentierten mit Vorformen von Schrift, mit in wunderschönen Mustern bemalter Keramik, beide legten üppige Grabstätten an, lebten im Bann von Ahnen und Menschenopfern, beide verbreiteten ihre agrikulturellen Lebensweisen (zunächst langsam, nach 2000 Jahren dann beschleunigt, bis sie auch die reichsten Wildbeutergemeinschaften überwanden).
Zweitens: In Ost und West geschah nicht nur das Gleiche, es geschah auch in mehr oder weniger gleicher Reihenfolge. In Tabelle 2.1 habe ich das mit Linien illustriert, die in beiden Regionen parallele Entwicklungen miteinander verbinden. Die meisten dieser Linien weisen ein in etwa gleiches Gefälle auf, wobei der jeweilige Entwicklungsschritt zunächst im Westen geschieht und sich dann, rund 2000 Jahre später, im Osten wiederholt. Das spricht sehr dafür, dass die Entwicklungen in beiden Regionen einer gemeinsamen kulturellen Logik folgten, dass gleiche Ursachen an beiden Enden Eurasiens gleiche Folgen hatten. Der einzige wirkliche Unterschied ist der, dass der Prozess im Westen 2000 Jahre früher begonnen hat.
Drittens: Gleichwohl ist keiner meiner beiden ersten Punkte vollständig richtig. Es gab Ausnahmen von der Regel. Erste Keramikgefäße entstanden im Osten mindestens 7000 Jahre früher als im Westen; reich ausgestattete Gräber gab es 1000 Jahre früher. Umgekehrt bauten die Leute im Westen monumentale Heiligtümer über 6000 Jahre früher als die im Osten. Wer nun der Meinung ist, diese Unterschiede von Osten und Westen basierten auf unterschiedlichen Wegen kultureller Entwicklung, die wiederum erklären würden, warum der Westen vorherrscht, der müsste darlegen, warum Töpferei, Gräber und Heiligtümer so große Bedeutung gewinnen konnten; andererseits müssten alle, die (wie ich zum Beispiel) davon ausgehen, dergleichen habe keine wirkliche Bedeutung gehabt, ihrerseits erklären, warum es zu diese Abweichungen vom allgemeinen Muster kam.
Darüber, warum Keramik im Osten so früh auftaucht, sind sich die meisten Archäologen einig: Die dort verfügbaren Nahrungsmittel machten das Kochen erforderlich. Die Menschen im Osten brauchten Behältnisse, die sie aufs Feuer setzen konnten, und lernten darum früh, Ton zu brennen. Wenn dem so war, müssten wir vielleicht überlegen, ob nicht
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