Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
den Tempel verstreut ein halbes Dutzend Ansammlungen von Gräbern. Wälle mit einem Durchmesser von 300 Metern markieren einige Gräber, und zu den Grabbeigaben gehören auch Jadeornamente, eines davon zeigt ein Drachen-Schwein. Mit allem Einfallsreichtum, den der Mangel an Beweisen in uns weckt, haben Archäologen darüber gestritten, ob die dort bestatteten Männer und Frauen Priester oder Häuptlinge waren oder vielleicht auch beides zugleich. Wie dem auch sei, die Idee, eine Minderheit der Toten – meist Männer – mit Jadegaben zu bestatten, setzte sich in ganz China durch, und um 4000 v. u. Z. begann an manchen Grabanlagen die Verehrung der Toten. Wie es aussieht, haben sich die Menschen im Osten ebenso sehr um die Ahnen gekümmert wie die im Fruchtbaren Halbmond, allerdings hat die Sorge um die Ahnen jeweils anderen Ausdruck gefunden: Im Westen hat man die Schädel von den Toten entfernt, im Osten wurden sie in Grabanlagen verehrt. An beiden Enden Eurasiens hat man größte Energie in Zeremonien investiert, die mit Göttern und Ahnen zu tun hatten, und die ersten mit Macht ausgestatteten Individuen waren offenbar jene, die Verbindung mit den unsichtbaren Welten der Ahnen und Geister aufnehmen konnten.
Durch Ackerbau bestimmte Lebensweisen – jenen ziemlich ähnlich, die einige Jahrtausende zuvor im Westen entwickelt wurden (mit allem was dazugehört: schwerer Arbeit, Vorratshaltung, Befestigungsanlagen, Ahnenkulten, Unterordnung der Frauen und Jungen unter die Männer und Alten) – waren um 3500 v. u. Z. offenbar auch im Osten fest etabliert und haben sich von den dortigen Besiedlungskernen her ausgebreitet. Auch die Verbreitung des Ackerbaus scheint sich in beiden Teilen der Welt nach ähnlichen Mustern vollzogen zu haben; zumindest ähneln sich die Expertendebatten über den jeweiligen Weltteil. Einige Archäologen gehen davon aus, dass die Menschen aus den Kerngebieten zwischen Jangtse und Gelbem Fluss durch Ostasien zogen und ihre agrikulturellen Lebensformen mitnahmen; andere denken, dass sich lokale Sammlergruppen niederließen, Pflanzen und Tiere domestizierten, miteinander Tauschhandel trieben und in großen Gebieten zunehmend ähnliche Kulturen entwickelten. Die linguistische |134| Befundlage ist ähnlich kontrovers wie in Europa; genügend genetische Daten, um irgendeine Frage zu entscheiden, gibt es nicht. Mit Bestimmtheit lässt sich allenfalls sagen, dass mandschurische Sammler in großen Siedlungen lebten und um 6000 v. u. Z. Hirse anbauten. Ab 4000 v. u. Z. wird bis weit hinauf im Jangste-Tal Reis angebaut, ab 3000 auf Taiwan und rund um das heutige Hongkong, ab 2000 im heutigen Thailand und in Vietnam. Um diese Zeit verbreitete sich der Reisanbau auch auf der Malaiischen Halbinsel und über das Chinesische Meer hinweg auf den Philippinen und Borneo (Abbildung 2.8).
So wie im Westen erlitt die Ausbreitung des Ackerbaus auch im Osten einige Rückschläge. Wie Phytolithen zeigen, war im heutigen Korea Reis gegen 4400 v. u. Z., Hirse gegen 3600 bekannt; Letztere erreichte Japan um 2600. Doch die prähistorischen Koreaner und Japaner ignorierten diese Neuerungen weitere 2000 Jahre lang. Auch koreanische und japanische Küstengebiete boten offenbar reiche Ressourcen aus dem Meer, die, wie riesige Haufen weggeworfener Muschelschalen zeigen, große Dauersiedlungen ernährten. Diese im Überfluss lebenden Sammler entwickelten verfeinerte Kulturen und verspürten offenbar keinerlei Drang, sich der Bestellung des Bodens zu widmen. Wie die Sammler und Jäger an der Ostsee zwischen 5200 und 4200 v. u. Z. waren auch deren asiatische Kollegen zahlreich und entschlossen, die Kolonisten zu vertreiben, die ihnen das Land streitig machen wollten, doch so zahlreich auch wieder nicht, als dass Hunger sie zum Ackerbau veranlasst hätte.
In Korea wie in Japan war der Übergang zum Ackerbau verbunden mit dem Auftauchen von Waffen aus Metall – aus Bronze in Korea um 1500 v. u. Z., aus Eisen in Japan um 600 v. u. Z. So wie europäische Archäologen darüber streiten, ob es ein Druck oder ein Sog war, der den reichen Sammlergesellschaften um die Ostsee ein Ende machte, so denken einige Asianisten, dass diese Metallwaffen Eindringlingen gehörten, die mit ihren Überfällen auch den Ackerbau verbreiteten, während andere davon ausgehen, dass es innere Wandlungsprozesse waren, die Wildbeutergesellschaften verändert haben, woraufhin plötzlich Metallwaffen interessant wurden.
Um 500 v. u. Z. waren Reisfelder auf
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