Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer schön sein will, muss sterben

Wer schön sein will, muss sterben

Titel: Wer schön sein will, muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michele Jaffe
Vom Netzwerk:
musst dich beruhigen.«
    Sie blickte mir fest in die Augen, und irgendetwas in ihrem Blick und in ihrer beruhigenden Stimme berührte mich tief. »Entspann dich, Schätzchen.« Und als hätte sie mich hypnotisiert, beruhigten sich die Monster in mir drinnen. »Komm, versuch mal, das alleine hinzukriegen, ohne noch mehr Medikamente. Atme mit mir, Liebes. Erst ein, schön langsam, und jetzt aus. Wieder ein, das ist gut, großartig, und aus.«
    Nach vier Atemzügen war mein Hals wieder frei. Nach sechs piepte der Herzfrequenzmonitor wieder langsamer.
    »Gutes Mädchen«, sagte sie zu mir. »Und gerade rechtzeitig zum Mittagessen aufgewacht. Es gibt Hühnereintopf. Hoffentlich bereust du es nicht.« Sie lachte, und es kam mir vor wie ein Glockenspiel, das das Summen und Piepen der Maschinen um mich herum übertönte und das Zimmer für einen Moment menschlich machte. Genau in diesem Moment habe ich mich in sie verliebt. »Ich heiße Loretta, und ich werde mich in den nächsten kritischen Stunden ganz besonders um dich kümmern.«
    »Ist alles okay mit ihr?«, wollte meine Mutter wissen. »Was ist passiert?«
    »Sie ist mehr als okay, stimmt’s, Schätzchen? Haben Sie gesehen, wie sie mich angesehen und auf meine Worte reagiert hat? Das zeigt, dass nur eine geringe kognitive Beeinträchtigung besteht, wenn überhaupt.«
    Geringe kognitive Beeinträchtigung, wenn überhaupt. Wovon redeten sie?
Was bedeutete das?
    Loretta wandte sich an mich. »Atme weiter, Liebes. Es ist ganz natürlich, dass du ein bisschen desorientiert bist, wenn du aufwachst, wegen der Medikamente und nach allem, was du durchgemacht hast. Aber es wird dir ganz schnell bessergehen, du wirst sehen. Direkt vor dir an der Wand ist eine Uhr. Kannst du sie sehen?« Ich blickte dorthin. Sie zeigte Viertel nach eins. »Du blinzelst einfach einmal für
ja
oder
okay
und zweimal für
nein
oder
schlecht
.« Als wäre es normal, nicht sprechen zu können.
    Ich blinzelte einmal, und alle Anwesenden atmeten aus. Später erfuhr ich, dass sie nicht einmal wussten, ob ich dazu in der Lage war. Wenn man davon ausging, wo ich am Kopf getroffen worden war, konnte mit mir alles in Ordnung sein, oder – wie Dr. Connolly sich ausdrückte, als er wenig später erschien – »ein Millimeter weiter nach links und das wär’s gewesen, du wärst jetzt nicht mehr als eine Steckrübe.«
    Dr. Connolly sah aus, als hätte er in der Highschool Football gespielt und würde immer noch davon erzählen. Er war groß, mit dünner werdenden, roten Haaren und geröteten Wangen, wie ein unangebracht fröhlicher Vater. »Ich würde sagen, ein klassischer Fall von Fahrerflucht«, sagte er. »Wie zwischen meiner dritten Frau und mir. Sie bat mich um die Scheidung, und ich bin gerannt!« Er zwinkerte Joe zu.
    Erstaunlicherweise zwinkerte Joe nicht zurück.
    Dr. Connollys Meinung nach hatte ich, trotz der gebrochenen Rippe, 103 Schnittverletzungen durch Dornen, einer Gehirnerschütterung, einem gebrochenen Bein und einer (hoffentlich vorübergehenden) Lähmung, Glück gehabt. »Du hättest tot sein können.«
    Er fuhr fort, alles aufzuzählen, was mir fehlen könnte, aber nicht fehlte, und nahm an, dass die Lähmung zum Teil durch eine Schwellung des Rückenmarks, zum Teil psychisch bedingt sei. Die Schwellung der Glieder wäre eine Nebenwirkung der Medikamente und würde bald zurückgehen. »Solange du ein starkes, tapferes Mädchen bist und weiterhin Glück hast, hast du eine gute Chance, dass alles wieder so wird wie vorher. Wir müssen in den nächsten Tagen auf Fortschritte achten. Gefühl in den Gliedern ist gut. Und wenn du deine Zehen fühlst« – er lachte –, »dann geht’s dir besser als mir.«
    Fahrerflucht? Besser werden? Geschwollene Glieder? Es war mehr, als ich fassen konnte, mehr als ich verarbeiten konnte. Ich starrte auf den Körper, der mir irgendwie gehörte, irgendwie aber auch nicht. Ich hatte das Gefühl, als würde ich alles mit den Augen eines anderen sehen, wie von der anderen Seite des Gartens bei den Nachbarn fernzusehen. Da war das weiße Krankenhaushemd mit den blauen Sternen drauf. Meine Arme, mit Schnittwunden bedeckt, hingen an den Seiten meines Körpers herab. An meinem linken Handgelenk waren mit durchsichtigem Pflaster drei Infusionen fixiert, die zu einer Maschine führten, die außerhalb meines Blickfeldes lag. An meiner rechten Hand war eine Art Monitor befestigt, an dem ein Dutzend dünne Drähte in Regenbogenfarben hingen. Ich sah, dass ich unter dem

Weitere Kostenlose Bücher