Wer schön sein will, muss sterben
Zehen, jegliche Spur von Unschicklichkeit zunichte gemacht hätten. Trotzdem sah Annie mit sieben Jahren aus wie eine Kleinausgabe meiner Mutter mit der roten Brille und dem goldblonden Bob, obwohl die Haare meiner Mutter gefärbt waren, und sie schien ungewöhnlich reif für ihr Alter – aber Annie war eine vollkommen eigenständige Person.
Meine Mutter streckte jetzt die Hand nach ihr aus. Annie hob einen der Sträuße hoch und hielt die Karte hin, die darunterlag.
»Arthur und Susan Kazarhi«, sagte meine Mutter laut, als sie ins Notizbuch schrieb. »Rosa-weiße Orchideen in einem Topf mit grüner Patina.«
Joe saß lässig links neben meiner Mutter, den Fußknöchel auf dem Knie, einen Arm über die Rückenlehne des Stuhls gelegt, auf dem meine Mutter saß, so viel Raum wie möglich einnehmend. Ich hatte Leute sagen gehört, dass er gut aussah, aber für mich sah er aus wie ein Gorilla. Er hatte haarige Hände und immer den Schatten eines Bartes. Er trug ein blau-weiß kariertes Button-Down-Hemd mit goldenen Manschettenknöpfen und Khakihosen. Die Hemden wurden extra für ihn angefertigt, wie er jedem sofort erzählte, der das Pech hatte, sich länger als fünf Minuten mit ihm zu unterhalten. Teuer, aber sie fühlten sich unvergleichlich an. »Hier, fass mal den Stoff an.« Was für ein Kerl, dieser Joe.
Joe musste meinen Blick gespürt haben, denn er war der Erste, der mich bemerkte. Sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. »Na, wenn das kein Anblick für müde Augen ist. Sieh mal, Rosie, Dornröschen ist aufgewacht.«
Meine Mutter sah sofort auf. So schnell, dass sie nicht genügend Zeit hatte, um ihren Gesichtsausdruck zu kontrollieren, und was ich in dem Moment sah, war Angst. Und sie sah alt aus – als wäre sie um zehn Jahre gealtert, seitdem ich sie das letzte Mal gesehen hatte.
Dann verschwand die Angst und sie lächelte, mit perfekt aufgetragenem Lippenstift, genau das richtige Maß an Sorge in den Augen. »Jane, Liebling!« Sie legte das Notizbuch zur Seite und kam auf mich zu. »Wir waren gerade dabei, eine Liste für dich zu machen für Dankesschreiben und …«
Dankesschreiben? Wofür?
Meine Mutter verstummte, das Strahlen ließ nach. »Janey, o mein geliebtes Mädchen.« Sie war jetzt an meinem Bett, drückte meine Hand. Da merkte ich, dass ich nichts fühlen konnte. »Jane, weißt du, wo du bist?«
Oder sprechen.
Entsetzen und Grauen übermannten mich.
Ich spürte eine Enge in der Brust und Tränen, die aufstiegen. Ich wollte schreien, konnte aber nicht. Der Schrei war gefangen, gefangen in meinem Körper.
Was ist los?
Wollte ich schreien.
Sagt mir, was passiert ist!
Nichts kam heraus.
Tränen verschleierten meinen Blick, und ich hatte das Gefühl zu ersticken. Mein Gehirn arbeitete fieberhaft,
Wo war ich, wie bin ich hierhergekommen, was ist das, lasst mich raus, wo bin ich
?, aber niemand hörte mich, niemand antwortete. Alle sprachen gleichzeitig, sagten Dinge, die ich nicht verstand, traten in mein Blickfeld und verließen es wieder.
Verlass mich nicht, Mommy, mach, dass es besser wird, Mommy!
Ich wusste, dass sie neben mir stand und weinte, ich sah, dass Tränen auf meinen Arm fielen, aber ich spürte sie nicht.
Ich spürte sie nicht.
Ich war vollkommen isoliert. Vollkommen allein.
Die Angst, die mich ergriff, war glühend heiß und eiskalt zugleich. Ich war lebendig begraben, steckte fest, war gefangen, allein, für immer.
Mein Herz begann zu rasen.
Ich muss hier raus, ich muss mich bewegen können, das hier darf nicht mit mir passieren, das hier darf nicht sein!
Der Monitor für die Herzfrequenz begann zu piepen, da mein Puls immer weiter anstieg. Das Ich in mir versuchte, sich nach draußen zu wühlen, kämpfte, wand sich, drängelte. Starb fast.
Ich muss hier raus, ich muss entkommen.
Alles verschwamm vor mir, wurde schwarz.
Ich bin in Gefahr. Lass mich raus lass mich raus.
Der Herzfrequenzmonitor piepte schneller.
Mein Hals war wie zugeschnürt.
Ich werde sterben, ich kann nicht atmen, o Gott, bitte lass mich raus, lass mich …
Der Herzfrequenzmonitor gab einen schrillen Ton von sich und an die Stelle des kreidebleichen Gesichts meiner Mutter trat ein Gesicht, das ich nicht kannte, das Gesicht einer Frau in rosa OP -Kleidung mit großen gelben lachenden Sonnen darauf.
»Schh, Liebes«, sagte sie und lächelte so breit zu mir herunter wie die Sonnen auf ihrem Hemd. »Ich weiß, das alles hier ist ein Schock für dich, aber es ist okay. Alles wird gut. Aber du
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