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Wer schön sein will, muss sterben

Wer schön sein will, muss sterben

Titel: Wer schön sein will, muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michele Jaffe
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Krankenhaushemd etwas trug, was aussah wie eine Windel.
    Eine Windel. O mein Gott. Sollte das etwa meine Zukunft sein? Es war dumm, aber dieses Ding brachte mich wieder zum Weinen.
    Meine tränenverschleierten Augen wanderten zu meiner Mutter. Während Dr. Connollys Rede, besonders an der Stelle, als er sagte, ich würde wahrscheinlich wieder vollkommen gesund werden, begann der Nerv an ihrem linken Auge zu zucken. Das bedeutete, dass sie den Zorn bekämpfte, der sich unter ihrer perfekt gepflegten Oberfläche regte. Die anerkennenden Briefe an den Wänden ihres Büros bewiesen, dass sie eine erstaunlich fähige Frau war, die sich den Ruf erworben hatte, eigentlich jedem zur Wahl verhelfen zu können. Ihre Kandidaten beschrieben sie als einen »Fels«, »unerschütterlich« und »das Verlässlichste außer den John-Deere-Traktoren, auf die meine Wähler, die sie hier in dieser Stadt produzieren, so stolz sind.«
    Sie brachte Dr. Connolly und Loretta zur Tür, drehte sich um und sah mich an. Keiner der Briefschreiber hätte sie in dem Moment wiedererkannt. Ihr strahlendes Lächeln war verschwunden, ihre Augen glühten. »Mein Gott, Janie, was hast du dir gedacht? Wie konntest du nur? Wie konntest du dir das antun? Mir?«
    Wie konnte ich ihr das antun?
Ihr?
Es kam mir noch mehr so vor, als würde ich das alles aus einer großen Entfernung beobachten, als wäre alles nur ein Theaterstück über jemand ganz anderen.
    Sie kramte in ihrer Tasche und holte ihren silbernen Handspiegel mit Monogramm heraus. »Sieh hin«, befahl sie und hielt ihn mir direkt vors Gesicht. »Sieh dir an, was du getan hast.«
    Ich sah hin und wieder stieg ein Schrei in meiner Kehle hoch. Der Abstand schwand. Das war ich. Und ich sah erschreckend aus.
    Die eine Hälfte meines Gesichts war geschwollen wie ein Luftballon. Ein Verband war um meinen Kopf gewickelt, meine Haare wirr und verfilzt, ein Auge halb geschlossen, umrandet von einem gelb-roten Bluterguss, und meine Unterlippe war aufgesprungen und doppelt so dick wie sonst. Meine linke Gesichtshälfte war mit bräunlichen Streifen überzogen, wo Dornen lange Kratzer auf meiner Wange hinterlassen hatten. Auf meiner Schulter war ein Bluterguss, der sich bis zum Hals erstreckte.
    Wieder spürte ich heiße Tränen aufsteigen und schloss die Augen. Mir wurde übel. Das Mädchen im Spiegel sah schrecklich aus, entstellt. Ekelhaft. Das konnte ich nicht sein.
Das war nicht möglich.
    »Siehst du?«, wollte meine Mutter direkt vor mir wissen. »Mach die Augen auf und sieh es dir an, Jane!«
    Ich tat es, aber ich starrte sie an, nicht mich. Warum tat sie mir das an? Sollte sie doch hinsehen, wenn sie wollte.
    »Ich finde, du siehst aus wie ein Krieger nach der Schlacht«, sagte Annie in das Schweigen, das zwischen meiner Mutter und mir herrschte. »Ich finde, du siehst cool aus.«
    Mit dem Spiegel in der Hand fuhr meine Mutter zu ihr herum. »Das stimmt nicht. Sie sieht schrecklich aus, wie …«
    Und wie bei einem Sommersturm, wenn ganz plötzlich nach grollendem Donner ein sintflutartiger Regen einsetzte, brach sie in Tränen aus.
    Sie begrub ihr Gesicht in Joes Schulter und schluchzte. »Ganz ruhig jetzt, Rosie«, sagte er und strich ihr übers Haar. »Jane hat schon genug Schmerzen.«
    Wenigstens waren Joe und ich in dem Punkt einer Meinung. Den Arm um sie gelegt, führte er sie in das Badezimmer neben meinem Bett und schloss die Tür.
    Heiße Tränen liefen meine Wangen hinunter. Manche denken vielleicht, wenn man gelähmt ist, kann man keinen Schmerz empfinden. Aber so ist es nicht. Man kann sich nicht bewegen, aber es kann wehtun. Es kann mehr wehtun, als man sich vorstellen kann.

Sechstes Kapitel
    A nnie tat, was sie immer tat, wenn sie angespannt war – reden. »Kate und Langley waren vorhin hier. Der Doktor hat gesagt, du darfst Besuch haben. Es hilft dir dabei, wieder gesund zu werden.«
    Ihre Worte trafen mich wie Messerstiche. Was hatten Kate und Langley wohl gedacht, als sie mich gesehen hatten? Was würde David denken? Ich sah schrecklich aus. Wie ein Freak. Ich wollte mein Gesicht zurückhaben.
    »Sie waren echt nett. Kate hat Marvin Flügel aus Toilettenpapier gemacht.« Marvin war eine Barbiepuppe. Annie hatte entschieden, dass es ein Mann war, der in einem Frauenkörper gefangen war. »Und Langley hat mir gezeigt, wie man Lidschatten aufträgt, aber Mommy wollte, dass ich ihn wieder abwische. Sie haben dich schon einmal geweckt und den Beatmungsschlauch rausgenommen, aber du hast

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