Wer schön sein will, muss sterben
aber alles ist noch da.
Es war damals so gewesen und es würde jetzt so sein, sagte ich mir.
Als das Licht in der Dunkelkammer anging, hatte ich mich umgesehen, um zu sehen, wer mir geholfen hatte. Ich war erstaunt, als der Junge, der während der Besprechungen immer allein hinten saß, sich Notizen machte und einen Filzhut trug, zu mir trat und sich vorstellte.
»Ich bin Scott.«
»Und ich bin dir dankbar. Jane.« Ich streckte die Hand aus.
»Schön, dich kennenzulernen, dankbare Jane.«
»Nein, nur Jane.«
Er hob eine Augenbraue, und ich merkte, dass er einen Witz gemacht hatte. »Stimmt, du wusstest das. Egal, ich bin es. Dankbar, meine ich.«
»Brauchst du nicht, Just Jane.«
»Woher wusstest du, was zu tun war?«
»Ich untersuche, wie die Wahrnehmung die Realität beeinflusst«, sagte er und klang ein bisschen aufgeblasen. Dann grinste er. »Außerdem bin ich gerade da gewesen. Als ich meine ersten Negative gemacht habe, bin ich total durchgedreht.«
Er und ich saßen beim Abendessen an einem der zerkratzten Holztische zusammen, in dessen Oberfläche schon Generationen ihre Initialen geritzt hatten. Über Kantinenpizza und stillem Mineralwasser erfuhr ich, dass er nicht schüchtern, sondern nachdenklich war und dass er in der Livingston nächstgelegenen Stadt wohnte – »die langweilige Stadt, in der du und deine Freunde euer Bier kauft«. Er war sowohl für die Fotos in der Schülerzeitung seiner Schule verantwortlich als auch der Fotograf des Jahrbuchs und träumte davon, eines Tages eine eigene Galerie zu haben. Zwischenzeitlich wollte er Jura studieren, schließlich musste man irgendwie die Rechnungen bezahlen, und sich halb mit Stipendien und halb mit kommerziellen Fotoarbeiten finanzieren. Im Verlauf der nächsten drei Wochen und unzähliger Tassen wässrigen Kaffees wurde aus »Just Jane« J. J. und wir wurden gute Freunde. Er war ernsthafter und zielstrebiger als alle, die ich kannte, aber auch leidenschaftlicher, stürzte sich mit aller Kraft auf etwas, das ihn interessierte.
Eines Nachmittags, nach einer besonders harten Kritik an seiner Arbeit, holte ich ihn ein. Mit dem Kopf nach unten bog er schnell vom Weg ab in den Wald. Kiefernnadeln knirschten unter meinen Füßen, während ich lief, um ihn einzuholen.
»Alles okay mit dir?«, fragte ich, als ich ihn einholte.
Er drehte sich um, strahlte. Das durch die blaugrünen Bäume fallende Sonnenlicht fing die goldenen Flecken in seinen Augen ein. Er glühte vor Eifer. »Hey, J. J.! War das nicht großartig?«
»Die Kritik? Aber sie …« Ich überlegte, wie ich es nett sagen könnte.
»… sie haben mich fertiggemacht«, beendete er, ergriff meinen Arm und drehte mich herum. »Ich weiß. Aber hast du bemerkt, dass nicht ein Einziger die Komposition oder den Blickwinkel oder die Technik kritisiert hat? Es ging nur darum, dass die Fotos sie verunsichert haben.«
Ich nickte.
»Das zeigt, dass ich sie getroffen habe. Meine Fotos haben eine Wirkung. Das ist besser, als wenn sie einfach gefallen oder nicht gefallen.« Er brach in schallendes Gelächter aus und ballte die Hand zur Faust des Triumphs. »Sie werden darüber nachdenken. Die Wahrnehmung schafft die Realität. Veränderst du das eine, veränderst du das andere. Das ist Kunst.«
Die Wahrnehmung schafft die Realität. Die Dunkelkammer erscheint anders, wenn das Licht aus ist, aber tatsächlich ist alles genauso wie vorher. Alles ist immer noch da, genau da, wo ich es liegen und stehen gelassen hatte.
Genauso würde es jetzt auch sein – alles war, wo es sein sollte. Aber wenn man sich nicht erinnern konnte, erschien alles so unheimlich, so fremd. Mein Leben war noch mein Leben. Meine Freunde waren noch dieselben Menschen, die sie vorher gewesen waren.
Also war ich es auch.
Warum sollte einer meiner Freunde mir was antun wollen?
Nur Sie wissen die Antwort darauf.
Ich wusste es nicht. Ich wusste es nicht, weil es unmöglich war. Niemand wollte mir etwas antun. Mein Leben war ziemlich perfekt. Ich verstand mich mit fast allen. Die Leute schrieben mir Dinge ins Jahrbuch wie
Du bist die Beste!
und
Ich liebe Dich!
und
Lass uns diesen Sommer etwas zusammen machen!
Freunde taten ihren Freunden kein Leid an – Freunde zu haben bedeutete, niemals allein und ohne Schutz zu sein. Niemals verlassen zu werden.
Ich öffnete die Augen und sah Kate und Langley, die am Fuß meines Bettes standen. Meine besten Freundinnen. Sie lächelten mich an, und Langley winkte. Ich blickte von einer zur
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