Wer schön sein will, muss sterben
spöttische Blick noch in der Luft zu liegen, genauso wie der schwere Duft von Ollies Blumen. Freunde versuchen nicht, dir etwas anzutun, wollte ich ihr nachrufen. Freunde beschützen dich davor, verletzt zu werden. Wenn du Freunde hast, bist du niemals allein. Und ich hatte Freunde. Dutzende. Ich versuchte, mir all die Blumen auf der Fensterbank anzusehen, aber meine Augen glitten zu dem Streifen Himmel darüber. Er war hellblau, eine einzelne Wolke zog vorbei. Perfektes Wetter für einen freien Tag.
Langley, Kate und ich hätten ihn bestimmt im Livingston Country Club verbracht, um an unserer Basisbräune zu arbeiten. Ich schloss die Augen und das Surren der Maschinen um mich herum verwandelte sich in das Summen der Zikaden in den blühenden Büschen, die um den Pool herum wuchsen. Es wurde nur unterbrochen vom sanften Aufploppen der Tennisbälle und dem Klirren von Gläsern, wenn das Personal die Wagen mit dem Tafelgeschirr vom Speisesaal zum Pavillon am Pool schob, um ihn für das jährliche Dinner am Memorial Day herzurichten.
Ich hätte dort sein sollen, ausgestreckt auf einer Liege, über die Bikinis der anderen lästern, Eistee trinken und einen leckeren Salat essen sollen. Ich hätte mit ihnen dort sein sollen und nicht hier, allein, von Maschinen umgeben, unfähig, mich zu bewegen, den Körper übersät mit Blutergüssen, mein Gesicht ein Gesicht, das ich nicht kannte.
Warum sollte einer meiner Freunde mir was antun wollen?
Nur Sie kennen die Antwort darauf.
Ich hatte keine Antworten. Nur unbeantwortete Fragen und riesige Lücken in meinem Gedächtnis, Lücken, die so groß waren, dass ich das Gefühl hatte, ich könnte darin ertrinken. Ich war allein und verloren, im freien Fall. Einmal, als ich im Fotografie-Camp im letzten Sommer Negative entwickelt hatte, hatte ich das Gefühl gehabt, dass mir die Welt entglitt, als wüsste ich nicht, wo oben war. Jetzt fühlte ich mich genauso, und zwar so sehr, dass ich fast die Kiefern riechen konnte. Ich schloss die Augen und die Erinnerung kam zurück.
Das Fotografie-Camp war ein spezieller Intensiv-Kurs für Schüler aus ganz New Jersey, die für Jahrbücher und Schülerzeitungen fotografierten. Es fand draußen im Wald unter einem strahlendblauen Himmel statt; Nadelbäume standen wie Wachen um die Gruppe von Blockhäusern herum. Aber trotz der riesigen Naturpalette, die sich hier bot, schrieb ich mich für Schwarz-Weiß-Fotografie der alten Schule ein. Wir arbeiteten mit richtigen Filmen und machten alles, vom Fotografieren bis zum Entwickeln der Negative und Abziehen der Fotos. Zum Entwickeln der endgültigen Bilder hatten wir in der Dunkelkammer rotes Licht, so dass man in der Dunkelheit noch etwas sehen kann. Aber zum Entwickeln der Negative musste es stockdunkel sein.
Ich hatte noch nie solch eine totale Dunkelheit erlebt, und es verwirrte mich. Ich blinzelte immer wieder und dachte, meine Augen würden sich daran gewöhnen und schließlich Umrisse von Dingen erkennen, vielleicht einen Lichtstrahl von der Tür.
Nichts. Nur reine, alles verschlingende Dunkelheit.
Als ich das begriff, drehte ich durch. Ich hatte das Gefühl, dass der Boden unter mir wegglitt, als würde es keine Schwerkraft mehr geben. Ich wusste, dass der Tisch mit all meinem Arbeitsmaterial vor mir war, aber meine Finger gehorchten mir nicht, ich konnte nichts finden. Ein Schweißtropfen rann mir den Rücken hinunter, und meine Hände und Knie begannen zu zittern. Es war, als würde jemand meine Brust umklammern. Ich konnte nicht atmen, ich musste raus, aber es gab kein Hinaus, ich konnte die Tür nicht finden. Der Boden neigte sich, doch wo war der Ausgang? Ich war gefangen, ich würde sterben, ich würde niemals rauskommen, ich war …
Ich rang nach Luft, als jemand hinter mir ins Ohr sprach: »Schließ die Augen.«
Es hätte angsteinflößend sein müssen, dass ein fremder Junge mir im Dunkeln so nah kam, aber das war es nicht. Es war beruhigend. Erdend. Ich schloss die Augen.
»Jetzt hol tief Luft.«
Ich holte Luft. Und dann noch mal.
»Es ist alles okay«, fuhr er fort. »Dir geht’s gut. Es scheint anders, aber es ist alles genauso, wie wenn das Licht an ist. Alles ist da.«
Es war wie ein Wunder. Es ging mir wieder gut. Meine Hände hörten auf zu zittern. Ich fand alles, was ich brauchte, genau dort, wo ich es hingelegt hatte. Ich schaffte es, den Film in die Entwicklungsdose einzufädeln und diese zu verschließen. Ich war nicht mal die Letzte.
Es scheint anders,
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