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Wer sich nicht fügen will

Wer sich nicht fügen will

Titel: Wer sich nicht fügen will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Letholainen
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führte sie in den Warteraum und drückte sie auf einen Stuhl. Ihr Alter war schwer zu bestimmen, denn während ihr Körper mager und abgezehrt und das Gesicht von Falten durchzogen war, zeichneten sich unter dem Top die knospenhaften Brüste einer Halbwüchsigen ab.
    Sie weinte eine ganze Weile. »Bin ich auf dem Revier?«, fragte sie schließlich.
    »Ja. Ich bin Kommissarin Maria Kallio und untersuche den Mord an Lulu. Vor wem hast du Angst?«
    Sie gab keine Antwort, sah mich aber wenigstens an. Ihre kurzen, strähnigen Haare klebten am Kopf, an den Spitzen waren sie blond, am Ansatz schwarzbraun.
    »Mein Mund ist so trocken«, wimmerte sie.
    »Was hast du geschluckt? Amphetamin?«
    Sie schwieg.
    »Warte hier, ich hol dir was zu trinken. Nyyssönen, pass bitte auf, dass das Fräulein den Raum nicht verlässt!« Das Büro des Diensthabenden hatte einen Schalter zur Eingangshalle und einen zweiten zu dem Windfang, in den man nachts, wenn das Präsidium geschlossen war, eingelassen wurde, um Anzeige zu erstatten. Ich holte eine Cola aus dem Automaten im Sozialraum. Nach kurzem Nachdenken nahm ich noch eine zweite Flasche.
    Das Mädchen saß zurückgelehnt auf dem Stuhl und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Als ich ihr die geöffnete Colaflasche hinhielt, schüttete sie ein Drittel des Inhalts auf einmal in sich hinein und saß dann ganz still da, als wartete sie auf die Wirkung der Flüssigkeit. Ich setzte mich neben sie und dachte sehnsüchtig an mein weiches Bett.
    »Vor wem hast du Angst?«, fragte ich erneut.
    »Vor den … Vor diesen Männern. Die ham mich mal verprügelt. Man kann nie wissen, wer nett ist und wer einen schlägt. Und mit Russen geh ich nie!«, rief sie.
    »Wie heißt du?«
    »Ich hab keinen Namen«, sagte das Mädchen. Unter der Lederjacke sah eine kleine Handtasche hervor, deren Gurt schräg über die Schulter lief. Vielleicht steckte der Personalausweis darin.
    »Der Polizei muss man seinen Namen nennen, das weißt du bestimmt.«
    »Und wenn ich ihn nicht sage, sperrt ihr mich in die Zelle? Da will ich ja gerade hin«, erwiderte sie, nun schon mit leisem Trotz.
    »In die Zelle, genau. Und da nimmt man dir alle persönlichen Gegenstände ab.«
    Ihre Hand legte sich instinktiv auf die Tasche. »Ich hab mich nich getraut, am Bahnhof zu bleiben«, sagte sie. »Ich bin in den Zug nach Kirkkonummi gestiegen, aber kurz vor Leppävaara kam der Schaffner, da hab ich die Fliege gemacht und hab’s auch noch geschafft abzuspringen. Ich dachte, hier draußen in der Walachei finden die mich nicht so leicht, Espoo is doch hinterm Mond … Ich wusste, dass die Polizei in Kilo sitzt, in der Schule ham sie immer Witze gemacht, wer ist der dickste Polizist der Welt, na, der Kilo-Polizist und so …« Sie lachte, hickste dann und setzte sich gerade hin.
    »Also, ich bin ne Nutte, ich verkauf mich am Bahnhof. Das is verboten, also musst du mich verhaften. Ich heiß Pamela. Und ich hab Lulu gekannt, na ja, bloß flüchtig, aber immerhin. Ich wär gern so gewesen wie sie. Ich hab sie mal gefragt, ob ich für sie arbeiten darf, aber sie hat gesagt, sie nimmt keine Junkies.«
    Sie trank noch einen Schluck Cola. »Ich hab das Ganze so satt, die Angst und all das, ich will lieber tot sein.«
    Wieder begann sie zu weinen. Trotzdem konnte ich aus ihr herausholen, dass sie vor ein paar Wochen von zwei Russen in ein Auto gelockt worden war. Die Männer hatten sich als Freier ausgegeben und Pamela zweihundert Euro versprochen, wenn sie beide bediente. Dann waren sie mit ihr in ein einsames Waldgebiet gefahren, hatten sie aus dem Auto gezogen und zusammengeschlagen. Das sei eine Warnung, hatten die Männer gesagt. Sie würden in ihrem Revier keine Nutten dulden, die ihr privates Geschäft machten. Wenn sie Pamela noch einmal erwischten, würde sie nicht mit dem Leben davonkommen.
    »Aber einfach aufhören konnt ich doch auch nicht, wo soll ich denn sonst das Geld herkriegen …«
    »Für die Drogen?«, fragte ich, obwohl die Antwort auf der Hand lag.
    »Und heute waren sie wieder da, ganz bestimmt! Der widerliche, schmierige blonde Kerl mit dem Pelzkragen, den hab ich genau gesehen!«
    Ich erinnerte mich an Ursulas Bericht über die Männer, die sie misshandelt hatten: Einer der beiden hatte einen Mantel mit Pelzkragen angehabt. Mischins Handlanger waren also wieder aktiv geworden. Ich rief bei der Zellenaufsicht an und vergewisserte mich, dass im Zellentrakt Platz war. Natürlich war das Präsidium kein Hotel, doch

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