Wer sich nicht fügen will
sie war, ein halbwüchsiger Junge und eine junge Mutter mit Babytrage. Sie waren dicht an Sulonen vorbeigegangen, als dieser plötzlich aufstöhnte und umfiel. Der Junge sagte, er habe zuerst an einen Herzinfarkt gedacht, man wüsste ja, wie gefährdet Bodybuilder seien. Die Frau mit den Strähnchen hatte das Blut gesehen und nach dem Wachmann gerufen. Die junge Mutter sagte, ihr einziger Gedanke sei gewesen, ihr Baby in Sicherheit zu bringen. Aber den Täter hatte niemand gesehen.
Die Waffenexperten und Ballistiker würden natürlich feststellen können, von wo der Schuss aller Wahrscheinlichkeit nach abgefeuert worden war. Ich beobachtete das übliche geschäftige Treiben am Tatort, Messungen, Befragungen, Spurensuche. Trotz des guten Mittagessens, das Puupponens Mutter uns aufgetischt hatte, fühlte ich mich kraftlos, aber ich war ja nicht auf mich allein gestellt. Ich sah zum zweiten Stock hinauf, wo sich oft Leute an das Geländer lehnten und nach unten spähten. Hätte von dort aus jemand unbemerkt schießen können? Aber wo war der Schütze danach verschwunden? Natürlich: Neben dem Kino gab es einen Aufzug und eine Treppe, beide führten zur Tiefgarage. Der Täter hatte fliehen können, bevor Alarm geschlagen wurde. Seitdem war bereits eine Stunde vergangen, er konnte meilenweit weg sein.
Was hatten wir zum Täterprofil gesagt? Ein Mensch, der kein Risiko scheute. Aber war es überhaupt derselbe Täter, der auch Lulu Nightingale umgebracht hatte? Vielleicht hatte sich Sulonen auf eigene Faust als Erpresser betätigt und damit sein Schicksal herausgefordert.
Ich ging zu Kaartamo. Er telefonierte wieder und nickte dabei beflissen.
»Genau, du hast völlig Recht. Nein, kein Grund zur Besorgnis. Es handelt sich um einen Einzelfall, das Opfer hatte Verbindung zur Unterwelt und zu diesem anderen Mord, der kürzlich passiert ist. Wir haben es nicht mit einem verrückten Killer zu tun, du kannst die Öffentlichkeit beruhigen. Wenn nötig, komme ich gern mit. Bei einer Operation dieses Kalibers trage ich selbstverständlich die Hauptverantwortung. Sicher, sie ist ein patentes Mädchen, aber vielleicht sollte ich doch …« Als Kaartamo mich sah, fuhr er zusammen. Er wusste genau, was ich davon hielt, als Mädchen tituliert zu werden.
»Hör zu, Kallio, wir müssen unser weiteres Vorgehen absprechen. Ich hatte gerade den Innenminister am Telefon, er macht sich Sorgen um die öffentliche Sicherheit. Der Fall muss unverzüglich aufgeklärt werden. Ab sofort gilt für das gesamte Präsidium Urlaubssperre, jeder, den die Schupo entbehren kann, wird bei den Befragungen eingesetzt. Dummerweise sind momentan wegen der vielen Verkehrsunfälle kaum Kräfte frei, und Vantaa kann uns keine Hilfe leisten, weil es dort genauso aussieht. Die Pressekonferenz werde ich übernehmen, du konzentrierst dich auf den Mord an Sulonens Arbeitgeberin. Ihr habt natürlich schon Untersuchungsmaterial über Sulonen. Ist etwas dabei, was uns bei diesem neuen Fall weiterhilft?«
Kaartamo wirkte nervös. Im Allgemeinen genoss er es, im Mittelpunkt zu stehen und den harten Kerl zu mimen. »Mit Nordströms Team müssen wir uns auch in Verbindung setzen«, wisperte er. »Über Nutten und ihre Kunden wissen die mehr als wir. Der Vorfall hier hätte sich zu einer Katastrophe auswachsen können. Zum Glück war der Kerl wenigstens zielsicher und hat mit dem ersten Schuss getroffen.«
Sein Geflüster ging mir auf die Nerven. Ich trat ein paar Schritte zur Seite. Vor dem Schaufenster eines Frisiersalons blieb ich stehen und rief meine Schwiegermutter an.
»Maria hier. Wie geht’s bei euch?«
»Alles in Ordnung. Wir haben gerade Karelischen Fleischtopf gegessen, Tanelis Leibspeise.«
»Gut. Kannst du notfalls über Nacht bleiben? Ich weiß nicht, wie lange ich hier festhänge. Aus den Nachrichten wirst du es sowieso erfahren, also brauche ich kein Geheimnis daraus zu machen: Im Big Apple ist geschossen worden. Ich muss die Sache untersuchen, weil das Opfer einer der Verdächtigen in einem anderen Fall ist, in dem ich ermittle. Grüß die Kinder von mir. Wenn ich es nicht schaffe, rechtzeitig nach Hause zu kommen, rufe ich noch einmal an und sage ihnen gute Nacht.«
In Gedanken ging ich den Inhalt unseres Kühlschranks durch und kam zu dem Ergebnis, dass er bis zum nächsten Tag reichen würde. Dann stieg ich die Wendeltreppe zum Kino im zweiten Stock hinauf. Die Richtung, in der Sulonen gegangen war, und der Eintrittswinkel des Geschosses legten
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