Wer stirbt, entscheidest du
worden war, wurden die praktischen Ermittlungen am Tatort heruntergefahren, während die Suche nach der sechsjährigen Sophie Leoni auf vollen Touren lief.
D.D. rief die am Einsatz beteiligten Kollegen in der Kommandozentrale des weißen Transporters zusammen.
Zeugen. D.D. verlangte eine Liste von allen Nachbarn, die bereits vernommen worden waren und bei denen es sich eventuell lohnte, ein zweites Mal vorbeizuschauen. Dann benannte sie sechs Detectives des Morddezernats, die so schnell wie möglich diese Vernehmungen durchführen sollten. Falls ein glaubwürdiger Zeuge oder eventuell Verdachtsmomente auftauchten, wollte sie unverzüglich darüber informiert werden.
Kameras. Boston war voll davon. Die Stadt installierte sie zur Verkehrsüberwachung, Gewerbe und Handel schützten sich damit. D.D. stellte ein dreiköpfiges Team zusammen, das sämtliche Kameras im Radius von zwei Meilen lokalisieren und alles Videomaterial der vergangenen zwölf Stunden auswerten sollte, beginnend mit den Kameras in der näheren Umgebung des Hauses.
Bekannte Kontaktpersonen. Freunde, Familienangehörige, Nachbarn, Lehrer, Babysitter, Arbeitgeber. Von allen, die jemals das Grundstück betreten hatten, wollte D.D. Name und Adresse innerhalb der nächsten fünfundvierzig Minuten auf ihrem Schreibtisch liegen haben, insbesondere die Kontaktdaten von Sophies Lehrern, Spielkameraden und Tagesmüttern. Nach Möglichkeit sollten deren Wohnungen durchsucht werden. Aber auch die von Freund und Feind, und zwar pronto.
Wer kannte die Familie sonst noch? Kollegen des Mannes, Straftäter, die sich Trooper Leoni auf Streife vorgenommen hatte, vielleicht Partner einer heimlichen Affäre oder langjährige Vertraute. Brian Darby und Tessa Leoni verkehrten bestimmt auch mit anderen. Einer von denen wusste vielleicht, was dem sechsjährigen Mädchen zugestoßen war, das man zuletzt schlafend in seinem Bett gesehen hatte.
Die Zeit spielte gegen sie. Raus auf die Straße, und legt euch ins Zeug, befahl D.D. ihrem Team.
Die Detectives und ihre Vorgesetzten nickten. D.D. und Bobby kehrten ins Haus zurück.
Sie baute darauf, dass die Kollegen ihr Bestes gaben und den gesamten Hintergrund der Familie in kürzester Zeit ausgeleuchtet hatten. Sie selbst interessierte sich vor allem für die letzten Minuten des Mordopfers. Sie wollte den Tatort in ihre DNA absorbieren, wollte sich überfluten lassen von der Fülle häuslicher Details, und seien sie noch so belanglos, angefangen mit der Farbwahl bis hin zum dekorativen Schnickschnack. Sie wollte sich ein genaues Bild machen, möglichst mit Blindfleck oder Leerstelle, und es sollte belebt werden von einem kleinen Mädchen, einem Vater, der zur See fuhr, und einer Mutter, die für die State Police arbeitete. Dieses eine Haus, diese drei Leben, die vergangenen zehn Stunden. Darauf reduzierte sich alles. Ein Zuhause, eine Familie, ein wie auch immer motivierter Zusammenstoß mit tragischen Konsequenzen.
D.D. musste das alles sehen, spüren, in sich leben lassen. Nur dann würde sie die dunkelsten Geheimnisse der Familie aufdecken und Sophie ausfindig machen können.
D.D. versuchte, die aufsteigende Übelkeit zu ignorieren, als sie mit Bobby wieder an der blutverschmierten Küche vorbeikam. Sie hatten sich darauf geeinigt, mit ihrer Hausdurchsuchung im Obergeschoss zu beginnen, das aus zwei Schlafzimmern und einem großen Badezimmer bestand. Das zur Straße hin gelegene Schlafzimmer war offensichtlich das der Eltern. Darin stand ein großes Doppelbett mit einem Kopfteil aus schlichtem Holz und einer dunkelblauen Tagesdecke. Es war, wie D.D. auf den ersten Blick bemerkte, wohl eher seines als ihres. Alles andere im Zimmer bestätigte diesen Eindruck.
Die große, ramponierte Eichenkommode war offenbar ein Relikt aus Junggesellenzeiten. Ein alter Fernseher stand darauf, eingestellt auf den Sportsender ESPN. Die kahlen, weiß gestrichenen Wände und der nackte Holzboden hatten die Behaglichkeit einer Durchgangsstation, in der man schlief und die Klamotten wechselte, aber keine Entspannung oder Zuflucht suchte.
D.D. öffnete den Kleiderschrank. Gebügelte Herrenhemden, nach Farben sortiert, nahmen drei Viertel des Platzes in Anspruch. An Kleiderbügeln hingen sechs Jeans, ebenfalls gebügelt. Auf den Rest verteilte sich ein Durcheinander aus Baumwollhosen und Tops, zwei State-Police-Uniformen, eine Galauniform und ein orangefarbenes Sommerkleid mit Blumenmuster.
«Er hat hier im Schrank sehr viel mehr Platz
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