Wer stirbt, entscheidest du
Kinderbüchern und glitzernden Ballettschühchen. Tessa und Brian hatten in einem Durchgangslager gehaust, die kleine Sophie aber bewohnte einen magischen Garten mit Häschen, die über die Dielenbretter hoppelten, und aufs Fenster gemalten Schmetterlingen.
Pervers, dachte D.D., mitten im Zimmer stehend und auf der Suche nach Blutspuren.
Sie presste ihre Hand auf den Bauch, was ihr aber selbst gar nicht auffiel, als sie begann, das Bett in Augenschein zu nehmen.
«Sind die Bezüge mit Luminol besprüht worden?», murmelte sie.
«Ja. Fehlanzeige.»
Sophie Leoni war also nicht sexuell missbraucht worden, jedenfalls nicht in diesem Bett. Um Missbrauch auszuschließen, würden die Kollegen der Spurensicherung allerdings noch die gesamte Wäsche zu überprüfen haben und gegebenenfalls auch die Waschmaschine ausräumen müssen. Es war erstaunlich, was sich auf scheinbar sauberen Laken mit Hilfe von Luminol sichtbar machen ließ, es sei denn, jemand hatte vorher mit geeigneten Bleichmitteln umzugehen gewusst.
D.D. fragte sich unwillkürlich, wer das Zimmer gestrichen hatte. Tessa? Nein? Vielleicht auch alle drei gemeinsam, zu einer Zeit, als sie noch glücklich miteinander gewesen waren.
Und sie fragte sich, wann wohl Sophie zum ersten Mal Schläge und Schreie gehört hatte. Ob sie womöglich eines Nachts davon aufgeweckt worden war oder in einer Ecke gesessen und mit ihren Puppen gespielt hatte.
Vielleicht war sie das erste Mal ihrer Mutter zu Hilfe geeilt. Vielleicht …
D.D. hatte schon jetzt die Schnauze gestrichen voll von diesem Fall.
Die Hände zu Fäusten geballt, trat sie ans Fenster und versuchte, sich mit einem Blick auf den Garten im fahlen Licht der Märzsonne abzulenken.
Bobby stand abseits und beobachtete sie, sagte aber kein Wort.
Auch dafür war sie ihm dankbar.
«Wir sollten feststellen, ob das Mädchen irgendwas zum Kuscheln hatte», sagte sie schließlich.
«Eine Stoffpuppe mit grünem Kleid, blauen Knopfaugen und Haaren aus braunen Wollfäden. Sie heißt Gertrude.»
D.D. nickte und richtete ihren Blick zurück ins Zimmer. Sie sah eine Lampe – Sophie hat Angst im Dunkeln –, aber keine Stoffpuppe. «Wo ist sie?»
«Scheint ebenfalls verschwunden zu sein.»
«Und ihr Schlafanzug?»
«Laut Aussage ihrer Mutter hat sie einen pinkfarbenen Schlafanzug mit aufgedruckten gelben Pferden getragen. Aber auch der ist nirgends zu finden.»
«Mantel, Mütze, Winterstiefel?»
«Bisher nichts in der Art», antwortete Bobby.
Zum ersten Mal schöpfte D.D. ein wenig Hoffnung. «Wenn Mantel und Mütze fehlen, wurde sie wahrscheinlich mitten in der Nacht aus dem Bett geholt. Zum Anziehen blieb keine Zeit. Ihr wurde vielleicht einfach nur der Mantel umgelegt.»
«Einer Leiche muss man jedenfalls keinen Mantel anziehen», bemerkte Bobby.
Sie verließen das Zimmer und gingen wieder nach unten, wo sie die Garderobe und den Schuhschrank inspizierten. Da war kein Kindermäntelchen, keine Mütze, keine Stiefel.
«Sophie wurde auf die Schnelle eingepackt», schlussfolgerte D.D. erleichtert.
«Sie verließ lebend das Haus.»
«Prima. Dann müssen wir sie jetzt nur noch finden, bevor es Nacht wird.»
Sie kehrten ins Obergeschoss zurück und suchten an den Fenstern nach Spuren gewaltsamen Eindringens. Es gab keine, auch im Parterre nicht, wovon sie sich rasch überzeugt hatten. An den Beschlägen und Schlössern beider Türen war allem Anschein nach nicht herumgepfuscht worden. Die Fenster im Wintergarten waren so alt und verzogen, dass sie nicht mehr aufgingen.
Das Haus schien insgesamt gut abgesichert zu sein. Bobby hatte offenbar nichts anderes erwartet, wie man seiner Miene ansehen konnte, genauso wenig wie D.D. In Fällen vermisster Kinder musste leider davon ausgegangen werden, dass das Verschwinden meist auf innerfamiliäre Probleme zurückzuführen war.
Der Wohnbereich erinnerte D.D. an das Schlafzimmer. Kahle Wände, beigefarbene Auslegware. Das schwarze, L-förmige Ledersofa schien von ihm ausgesucht worden zu sein, nicht von ihr. Am Rand des Sofas lag ein recht neu aussehender Laptop. Ein großer Flachbildschirm thronte protzig auf einem Möbel, in dem sich eine moderne Hi-Fi-Anlage, ein Blu-ray-DVD-Player und eine Wii-Spielekonsole befanden.
«Jungs und ihr Spielzeug», bemerkte D.D.
«Ingenieure», korrigierte Bobby.
D.D. musterte einen kleinen Zeichentisch, der in der Ecke stand. Auf der einen Seite lag ein Stoß weißen Papiers, in der Mitte eine mit Buntstiften gefüllte
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