Wer war Jesus
Gastfreundschaft mehr erhalten, ja nicht einmal einen Gruß, damit die rechtgläubige Gemeinde nicht mitschuldig
an den bösen Werken der Dissidenten werde.
Diese Anweisung steht in einem Brief, der in Ermahnungen zu gegenseitiger Liebe geradezu schwelgt und der Gemeinde bezeugt,
dass sie die Wahrheit erkannt hat. Trotzdem treibt den Verfasser nun eine mit Lieblosigkeit gepaarte Berührungsangst, ausgelöst
durch den »falschen« Glauben christlicher Brüder, die einst zu seinem Gemeindeverband gehörten. Und nicht nur dies: Angeblich
verkörpern sie sogar den kollektiv verstandenen Antichristen (Vers 7) und sind damit endgültig zum Tabu geworden. Man wird
erinnert an ein Votum des bedeutenden Religionskritikers Ludwig Feuerbach (1804–1872): Da der Satz »Gott ist die Liebe« nicht
mit dem Satz »die Liebe ist Gott« identisch sei, habe der Glaube die Möglichkeit, sich hinter dem durch das Wort »Gott« bezeichneten
Dunkel zu verstecken. So bleibe, indem Gott im Unterschied von der Liebe gedacht werde, immer ein Platz für die Lieblosigkeit
offen.
Es gehört zum kleinen Einmaleins der wissenschaftlichen Exegese, Texte aus ihrem historischen Zusammenhang heraus zu interpretieren.
Die neue Enzyklika tut dies nur zum Schein und erschleicht biblische Autorität durch Ausblendung historischer Wirklichkeit.
Indem sie die von Lieblosigkeit geprägten Schriften des »Johannes« als Grundlage für Ausführungen über die Liebe verwendet,
streut ihr Verfasser interessierten »Christgläubigen« und der Öffentlichkeit Sand in die Augen.
|83| DIE KIRCHEN HEUTE
20. Gott muss Werte erst erlernen 1
Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (= EKD) hat am 4. Oktober 2006 »Zehn Thesen zum Religionsunterricht« veröffentlicht.
Deren Verfasser fordern, dass neben anderen Fächern, die auf Religionen und Werte bezogen sind, »Religion« weiter herkömmlich
unterrichtet werde, und sprechen sich dafür aus, dass nichtchristliche Religionen in der Zukunft ebenfalls einen eigenen Religionsunterricht
erhalten sollen. Dies hat eine rechtliche Basis im Grundgesetz, Art. 7.3, demzufolge Religion unter der Aufsicht des Staats
nach den Grundsätzen der jeweiligen Religionsgemeinschaften zu erteilen ist.
Ohne Zweifel ist, wie der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber, im Vorwort zu den »Zehn Thesen« bemerkt, Religion
ein Großthema des 21. Jahrhunderts. Indes ergibt sich aus der Aufgabe, die eigene Religion und die Religion anderer zu verstehen
– oder auch aus der Erkenntnis, dass es besser ist, ohne Religion zu leben –, keinesfalls die Notwendigkeit, den Religionsunterricht
in der althergebrachten Form beizubehalten und weiter auszubauen.
Der konfessionelle Religionsunterricht verlangt von den Lehrenden nicht nur die Mitgliedschaft in der jeweiligen Religionsgemeinschaft,
sondern auch eine innere Bindung an deren Glauben. Dasselbe gilt entsprechend für alle, die an der Universität für das Fach
Religion zuständig sind. Diese Regelungen, die es in der westlichen Welt so nur in Deutschland gibt, machen es jedoch unmöglich,
die |84| Jugend fundiert in die verschiedenen Religionen einzuführen. Bildung im Fach Religion ist in erster Linie Wissen – also genau
dasselbe, was Bildung in den anderen Unterrichtsfächern auch bedeutet –, nicht aber Kindermission oder Katechismusunterricht
höherer Ordnung.
Auch ist nicht plausibel zu machen, dass erst der konfessionelle Religionsunterricht mit seinem Gottesbezug Werte vermittelt.
Und ebenso wenig gehören der Sinn für die unantastbare Würde des Menschen und der für die Wirklichkeit Gottes zusammen. Denn
erinnern wir uns: die freiheitlich-demokratischen Ideale und Werte, die sich jetzt auch im Grundgesetz finden, wurden während
der Aufklärung gegen die sich auf Gott und Bibel berufenden Kirchen durchgesetzt. Und weder der Gott Jahwe des Alten Testaments
noch der Vater Jesus Christi, noch beide in einer Person, noch Allah vertreten die Werte unseres freiheitlich-demokratischen
Staates. Sie müssen sie erst noch erlernen.
Unter dem Strich stellt sich die Forderung, das Fach Religionskunde einzurichten, das den konfessionellen Religionsunterricht
evangelischer, katholischer, jüdischer, islamischer und anderer Art ersetzt. Seine Grundlage wäre die Wissenschaft von den
jeweiligen Religionen, Ziel die Wissensvermittlung. Er macht kundig, nicht gläubig.
|85| 21. Gemeinschaft von Thron und Altar
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