Wer war Jesus
württembergische Landessynode im Herbst 1998 auf einer Klausurtagung ein
klärendes Wort über die Bedeutung des Kreuzestodes Christi – der immerhin im Mittelpunkt des christlichen Glaubens steht –
für die Gemeinden formulieren. Doch scheiterte das Vorhaben, weil »der Minimalkonsens zu klein« war – so der Vorsitzende des
Theologischen Ausschusses der Synode.
Indes trägt die Gesamtvertretung der deutschen Protestanten, die Evangelische Kirche in Deutschland (= EKD), Bibel und Bekenntnis
wie eine Monstranz vor sich her. So heißt es in der Präambel zu ihrer »Grundordnung« von 1948: Fundament des Glaubens sei
»das Evangelium von Jesus Christus, wie es uns in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments gegeben ist. Indem sie diese
Grundlage anerkennt, bekennt sich die EKD zu dem Einen Herrn der einen heiligen allgemeinen und apostolischen Kirche.« Die
Fortsetzung dieser antik anmutenden Sentenz lautet: »Gemein sam mit der alten Kirche steht die EKD auf dem Boden der altkirchlichen Bekenntnisse.«
Zugleich ist die EKD auch darum bemüht, die Gegenwartsbedeutung der christlichen Botschaft hervorzuheben. Ein von ihr autorisierter
Text aus dem Jahr 2003,
Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen
, legt dar, wie das Evangelium von Jesus Christus in heutiger Zeit vermittelt werden soll, nämlich durch Bezeugung »der Offenbarung
des lebendigen, von der Sünde errettenden |89| Gottes in Jesus Christus, der durch das Wirken des Heiligen Geistes den freimachenden Glauben schafft.«
Weiter bekennen sich die Verfasser des genannten Textes zum Grundsatz der Religionsfreiheit, der sich »den Kirchen im Prozess
der Moderne erst nach und nach erschlossen« habe, aber »aus dem reformatorischen Verständnis des Glaubens selbst« folge.
Auffallenderweise will man den anderen Religionen einen so genannten »Absolutheitsanspruch« der Wahrheit nicht entgegensetzen.
Begründung: »Das wäre nämlich ein Anspruch, über den die glaubenden Menschen (nur) in ihrer subjektiven Aneignung der Wahrheit
verfügen.« Aber trotz der Verabschiedung des Absolutheitsanspruchs haben die Autoren auf der dogmatischen Ebene keinerlei
Zugeständnisse gemacht. Vielmehr bedürfen ihnen zufolge alle Menschen der Rettung durch Jesus Christus und sind ohne Annahme
des Evangeliums in Ewigkeit verloren. Der Text führt dies nicht weiter aus, denn seine Verfasser wollen zeitgemäß erscheinen
und nicht als Fundamentalisten gelten.
Entsprechend öffnen sich die EKD und ihre Mitgliedskirchen allen möglichen Trends, bewegen sich entschlossen auf die Moderne
zu, damit der Glaube nicht zur Mumie wird, sind aber nicht in der Lage, ein klares Credo in verständlicher Sprache zu formulieren.
Zugleich weckt die Dehnung des Glaubens die Sehnsucht nach etwas ganz Festem. Und so kommt es zu einem pragmatischen Kompromiss.
Flexibilisierung – Inhaltslosigkeit – wird weiter gefördert, zugleich aber auch Traditionalismus – dogmatische Leere – gepflegt.
Wenn es ein Kennzeichen des »Protestantismus« ist, am Erbe der Aufklärung festzuhalten, müssen Protestanten sich von einem
solchen Wirrwarr distanzieren und dogmatischen Erkenntnisprivilegien ade sagen. Lessings Wort gilt noch heute: »Wenn Gott
in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatze,
mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte und spräche zu mir: ›Wähle!‹, ich fiele ihm mit Demut in seine Linke und
sagte: ›Vater gib!, die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!‹«
|90| 23. Wie viel Zweifel ist erlaubt? 1
Alle, die als Geistliche in den Dienst der evangelischen Kirche treten wollen, müssen bei der Ordination ein Gelöbnis ablegen.
Es lautet: »Ich gelobe, das Evangelium von Jesus Christus zu predigen, wie es in der Schrift gegeben und im Bekenntnis unserer
Kirche bezeugt ist.« Zum Credo gehört auch das Apostolische Glaubensbekenntnis, das jeden Sonntag im Gottesdienst gesprochen
wird. Nun rufen biblische Geschichten von der Jungfrauengeburt oder der Auferstehung Jesu, die sich im Apostolikum wiederfinden,
bei kritischen Zeitgenossen nur noch Kopfschütteln hervor. Aber auch die theologische Wissenschaft versteht sie nicht mehr
als historische Tatsachen, sondern hat beide als Mythen erkannt. Künftige Geistliche lernen also während des Theologiestudiums,
an den geschichtlichen Grundlagen ihres späteren Gelöbnisses
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