Wer war Jesus
richtig. Von dieser bereits im Neuen Testament
geläufigen Sicht des Alten Testaments hat uns die Bibelkritik befreit. Wer eine solche Einschätzung erneuert, handelt intellektuell
unverantwortlich.
Der Papst stellt die »Offenbarung Gottes in Jesus von Nazareth« als ein von der übrigen Geschichte separates Geschehen dar.
Dem entspricht sein Verständnis der Bibel. Wenn die Offenbarung ein Geschehen eigener Art darstellt, dann hat sie Anspruch
auf eine heilige |77| Geschichte, die nicht von der Welt bestimmt ist. Das Zeugnis darüber findet sich in einem theologischen Genus ganz eigener
Art, der Heiligen Schrift. Die Darstellung Jesu ist so in ein Geheimnis eingetaucht, das nur der Glaube verstehen kann. Den
Ungläubigen bleibt es verborgen, bis sie den Umkehrruf Gottes annehmen.
Indes leben wir weder im Altertum noch im Mittelalter, sondern in der Neuzeit. In ihr gehören metaphysische oder metahistorische
Aussagen nicht mehr zu den Selbstverständlichkeiten, sondern müssten begründet werden. Die Wissenschaft – dazu gehört auch
die biblische Kritik – ist seit langem autonom. Darin liegt der eigentliche Umbruch, der sich in Europa seit der Trennung
von Staat und Kirche vollzogen hat.
Die unmetaphysische, nämlich historische Betrachtung der neutestamentlichen Evangelien – und zwar mit der Fragestellung, was
ihre Verfasser je für sich sagen wollten und ob historische Fakten zu Grunde liegen – zeigt, dass Benedikts Darstellung Jesu
von Nazareth keiner historischen Wirklichkeit entspricht. Seine Anklage gegen die Vertreter der Bibelkritik, auf der Grundlage
eines verengten Wirklichkeitsbildes zu argumentieren, fällt auf ihn selbst zurück. Da ihm jeglicher Sinn für Empirie fehlt,
verwechselt er den historischen Jesus mit dem Christus des katholischen Dogmas. Wissenschaftlich gesehen, ist Benedikts Jesusbuch
schlicht ein Fiasko.
|78| 18. Wider die Mariendogmen 1
Am 8. Dezember 2007, dem Fest »Mariä Empfängnis«, begann das hundertfünfzigjährige Jubiläum der Marienerscheinungen in Lourdes.
Per Dekret hat Papst Benedikt XVI. verfügt, dass alle Gläubigen, die während dieser Zeit in frommer Gesinnung nach Lourdes
pilgern, für sich oder für Seelen, die sich bereits im Fegefeuer befinden, einen vollkommenen Ablass von Sündenstrafen erlangen
können. Die Pressestelle des Heiligen Stuhls rechnet in den kommenden zwölf Monaten mit rund acht Millionen Pilgern.
Am 11. Februar 1858 hatte die damals vierzehnjährige Bernadette Soubirous in der Lourdes-Grotte Massabielle eine »junge, wunderschöne
Dame, ganz vom Licht umflossen« gesehen. Sie war »bestürzt«, berichtete Bernadette später und glaubte anfangs an eine »Täuschung«.
Der örtliche Bischof vernahm sie und befahl ihr, die »wunderschöne Dame« nach ihrem Namen zu fragen. Darauf stellte diese
sich als »die unbefleckte Empfängnis« vor. Zweifellos stärkte das die damals vier Jahre alte päpstliche Definition des Dogmas,
»dass die seligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch die einzigartige Gnade und Bevorzugung des allmächtigsten
Gottes im Hinblick auf die Verdienste Christi Jesu, des Erlösers des Menschengeschlechtes, von jeglichem Makel der Urschuld
unversehrt bewahrt wurde.« Bernadette sagte später, die Dame sei ihr erschienen, um die Worte des Papstes zur unbefleckten
Empfängnis der Maria zu bestätigen.
Neben dem Dogma von der unbefleckten Empfängnis sind für Katholiken drei weitere Mariendogmen verbindlich: a) Maria ist Mutter
Gottes, b) sie blieb immer Jungfrau, c) sie wurde mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen. Keine dieser Lehren findet |79| sich im Neuen Testament; nur die Aussage von der immerwährenden Jungfräulichkeit der Maria hat hier einen Anknüpfungspunkt,
denn das Matthäus- und das Lukasevangelium berichten von der Jungfrauengeburt. Indes fehlt dort eine Aussage darüber, dass
Maria auch nach der Geburt Jesu Jungfrau geblieben sei. Und die zahlreichen Verweise auf Brüdern und Schwestern Jesu im Neuen
Testament sprechen gegen diese These.
Das römisch-katholische Lehramt fasst die vier Aussagen des Mariendogmas im wörtlichen Sinn auf. Die gerade veröffentlichte
Enzyklika von Benedikt XVI.
Spe Salvi
(»Auf Hoffnung hin gerettet«), die am Schluss unter der Überschrift »Maria, Stern der Hoffnung« die Gottesmutter anruft, liegt
auf der gleichen Linie. Der Intellektuelle auf dem Heiligen Stuhl, Joseph
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