Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer war Jesus

Wer war Jesus

Titel: Wer war Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Luedemann
Vom Netzwerk:
zu zweifeln.
    Doch nach der Ordination fragt sie niemand mehr nach ihrer Rechtgläubigkeit. Es sei denn, Geistliche machen aus intellektueller
     Redlichkeit den Zweifel am Dogma zum öffentlichen Thema. So verlor der Hamburger Pastor Dr. Paul Schulz im Jahre 1979 wegen
     seiner Kritik an Schrift und Bekenntnis, auf die er ordiniert worden war, seine Anstellung. Mir wäre es als staatlich angestelltem
     Theologieprofessor 1998 fast ähnlich ergangen – nur der Beamtenstatus verhinderte die Entlassung, welche die Landeskirche
     Hannovers unter Hinweis auf meinen Zweifel an den christlichen Hauptdogmen gefordert hatte. Das Bundesverwaltungsgericht hat
     erst kürzlich die Entscheidung der Universität Göttingen bestätigt, dass meine Entfernung aus den theologischen Studiengängen
     rechtens gewesen sei. Ein Wissenschaftler, der die Kernsätze des Christentums |91| bezweifle, genüge – unabhängig davon, wie hoch die Qualität seiner wissenschaftlichen Arbeiten sein mag – nicht mehr den kirchlichen
     Eignungsanforderungen.
    Insider wissen: Diese harte Linie wird nur nach außen vertreten. Der Kern des modernen evangelischen Christentums ist weich
     bis zur völligen Beliebig- und Inhaltslosigkeit; die zentralen Lehren der Bibel werden gar nicht mehr wörtlich genommen, sondern
     als Steinbruch für modische Meinungen benutzt. Insofern hat auch innerhalb der Kirche der Zweifel am Dogma den Sieg davongetragen.
     Indes bleibt es dabei, dass im Konfliktfall eine Reihe exotisch anmutender Lehren von der Jungfrauengeburt bis zur Auferstehung
     Jesu zu einem scharfen Schwert sowohl gegen zweifelnde Geistliche als auch gegen nicht mehr christlich glaubende Theologieprofessoren
     werden können.
    Die Folgen sind eine innere Spaltung der kirchlichen Amtspersonen und ein weiterer Niedergang der evangelischen Kirche. Die
     doppelte Wahrheit – eine für Studierte, eine für Gemeinde und Öffentlichkeit – verhindert Reformen und lähmt die Frage nach
     dem, was denn am christlichen Glauben wirklich dran ist. Immerhin könnte es ja sein, dass der Weg zur Wahrheit – die ich Gott
     nenne – nur durch radikalen Zweifel und durch vollständige Aufgabe alter Dogmen möglich ist. Diesen wirklichen Zweifel, der
     eine lange Fahrt über eine bewegte See unternimmt, ohne das rettende Ufer zu sehen, lässt die evangelische Kirche nicht zu.
     Sie schüchtert ehrlich Fragende innerhalb und außerhalb ihrer Mauern durch Strafmaßnahmen ein und bedient sich dabei sogar
     des staatlichen Armes.

|92| THEOLOGISCHE FAKULTÄTEN
    24. Ketten des Dogmas 1
    Die theologischen Fakultäten in Deutschland stammen aus der mittelalterlichen Universität. Ihre Existenz an Hochschulen der
     Gegenwart gründet auf Verträgen zwischen Staat und Kirche. Der akademische Status der Theologie überrascht umso mehr, als
     sie gar keine Wissenschaft ist – und zwar weder in ihrer römisch-katholischen noch in ihrer evangelischen Ausprägung.
    Theologie geht von Voraussetzungen aus, denen nur Gläubige beipflichten können, etwa, dass die christliche Religion »der Selbstbekundung
     Gottes in Jesus Christus« entspringt oder dass die Bibel »das Wort des Dreieinigen Gottes ist, in dem er sich zu erkennen
     gibt«. Aber Wissenschaft muss allen rational zugänglich sein.
    Die Theologieprofessoren – so der rechtliche und theologische Konsens – nehmen als Getaufte eine kirchliche Aufgabe wahr und
     vertiefen Glaubenssätze. Aber dies beruht auf einer Verwechslung von Kanzel und Katheder.
    In beiden Fakultäten wirken – zwecks Erteilung des
nihil obstat
– die jeweiligen Kirchenbehörden bei der Berufung von Professoren mit; dabei beanstanden sie, falls nötig, die Lehre von missliebigen
     Professoren, was zwangsläufig zu deren Entfernung aus dem Amt und zur Bestellung eines »geeigneten« Ersatzes führt. Aber das
     ist Inquisition und schlägt der Wissenschaftsfreiheit ins Gesicht.
    Daher nimmt es nicht wunder, dass die an deutschen Fakultäten betriebene Theologie international die Führungsrolle verloren
     hat, |93| die ihr einst zukam, und größtenteils nur noch vom Ruhm der Vergangenheit lebt. Wegen ihrer Konfessionsbindung ist sie zu
     einer echten Kooperation mit anderen Fächern wie der Religionswissenschaft nicht in der Lage. Besonders übel stößt auch die
     Tatsache auf, dass die Judaistik, sofern sie von Ungetauften betrieben wird, an Theologischen Fakultäten kein Heimatrecht
     bekommt. Überhaupt können nur Studierende, die einer

Weitere Kostenlose Bücher