Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer war Jesus

Wer war Jesus

Titel: Wer war Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Luedemann
Vom Netzwerk:
Meditationen grenzen sogar an Kitsch: »Was am brennenden Dornbusch in der Wüste des Sinai begann, vollendet sich am
     brennenden Dornbusch des Kreuzes« (Seite 178); »Wer wachen Auges in die Geschichte blickt, der kann diesen Strom sehen, der
     von Golgatha her, vom gekreuzigten und auferstandenen Jesus her durch die Zeiten fließt. Er kann sehen, wie dort, wo dieser
     Strom ankommt, die Erde entgiftet wird, wie fruchttragende Bäume heranwachsen, wie Leben, wirkliches Leben aus diesem Quell
     der Liebe fließt, die sich geschenkt hat und schenkt« (S. 290–291).
    Wäre nicht der Papst der Verfasser dieses Buches, würde es von akademischen Exegeten nicht oder doch nur als eine peinliche
     Entgleisung zur Kenntnis genommen werden und in kirchlichen Buchläden bald verstauben. Da in ihm der oberste Pontifex der
     römischkatholischen Kirche die Vernunft vor den Karren des Glaubens spannt, muss – auch stellvertretend für alle Katholiken,
     die historisch-kritische Exegese betreiben – der intellektuelle Skandal eines solchen Vorgehens angeprangert werden.

|75| 17. Jesus von Nazareth aus der Sicht des Papstes 1
    Die historische Kritik hat seit dem 18. Jahrhundert eine kopernikanische Revolution in der Jesusforschung eingeleitet. Zum
     einen erkannten Exegeten den Mann aus Nazareth als Prophetengestalt des ersten Jahrhunderts, deren Gedankenwelt von jüdischen
     Traditionen geprägt war. Zum anderen widerlegten Bibelkritiker die These, dass die vier Evangelisten des Neuen Testaments
     Augenzeugen gewesen seien. Fortan galt das Johannesevangelium als das jüngste Evangelium, das einen nur geringen historischen
     Wert besitze. Die vielfältigen wörtlichen Übereinstimmungen zwischen den anderen drei wertete die Forschung im Rahmen der
     sog. Zwei-Quellen-Theorie so aus, dass Matthäus und Lukas unabhängig voneinander sowohl das Markusevangelium als auch eine
     Spruchquelle (»Q«) benutzt haben. Wobei die geschichtliche Bedeutung dieser Quellen für den historischen Jesus nicht generell
     feststeht, sondern jeweils von Erzählung zu Erzählung zu erweisen ist.
    Benedikt XVI. kommt daher und deklariert – die reiche Forschungsgeschichte ignorierend – im Handstreich den Jesus der Evangelien
     als den wirklichen Jesus, als den »historischen Jesus«. Er traut den Evangelien historisch und setzt sogar voraus, dass der
     Mann aus Nazareth
sämtliche
ihm in den Evangelien zugeschriebenen Worte auch gesprochen habe. Damit führt der Papst einen Angriff auf die historisch-kritische
     Bibelwissenschaft. Das schadet der Wissenschaft, und es schadet der Theologie, weil Benedikt so tut, als könne die Theologie
     Antworten auf Fragen der Wissenschaft geben oder als könne man die Wissenschaft beiseite lassen, wenn sie nicht als Magd der
     Theologie funktioniert.
    |76| Ein bestimmtes Bild von Jesus prägt das Buch: das Bild des mit Gott wesensgleichen Sohnes, der zugleich wahrer Gott und wahrer
     Mensch ist. Unbeeindruckt von historischen Einwänden stellt der Papst Jesus als einen auf Erden wandelnden Gott dar, der sich
     zu Gunsten der sündigen Menschen erniedrigt und verheißen hat, die an ihn Glaubenden einst zu sich in sein Reich zu nehmen.
     Dies schlägt – wie gesagt – allem ins Gesicht, was wir über den geschichtlichen Wert der Evangelien, ihre Entstehungsverhältnisse
     und den historischen Jesus wissen können.
    Nun wirft der Papst den Vertretern der historischen Bibelkritik ein eingeschränktes Wirklichkeitsverständnis vor. Jesus von
     Nazareth sei nämlich als »der Sohn« bereits vor der Schöpfung beim Vater gewesen. In Gott selbst gebe es ewig den Dialog von
     Vater und Sohn, die beide im Heiligen Geist ein und derselbe Gott seien. Dies solle man nicht mythologisch verstehen, sondern
     wörtlich.
    Sowohl die Geschichtlichkeit des Jesus der kanonischen Evangelien als auch die These, dass Gott sich in Jesus offenbart habe,
     will Benedikt bewahren. Für ihn gibt es zwei Wirklichkeiten: die irdische – den Bereich der Historie – und die himmlische,
     die dem Glauben durch Offenbarung zugänglich ist. Er befindet sich hier im Einklang mit den Theologen der alten Kirche, die
     gleichzeitig physische und metaphysische, historische und metahistorische Kategorien auf Jesus von Nazareth anwandten.
    Mit ihnen teilt er auch die Überzeugung, dass die Verfasser der alttestamentlichen Schriften die Geburt und das Wirken Jesu
     sowie seinen Tod und seine »Auferstehung« prophezeit haben. Doch ist das nicht

Weitere Kostenlose Bücher