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Wer weiter sehen will, braucht hoehere Schuhe

Titel: Wer weiter sehen will, braucht hoehere Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peta Mathias
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spanischen Stil. Ich ließ mich von einem trügerischen Gefühl der Sicherheit einlullen; wenn man das unter Abenteuerreisen verstand, weshalb tun die Leute dann so, als wäre das hier so eine gewaltige Herausforderung? Unsere Reiseführerin Lidia war ein Schatz und schien Sucre in bester Tradition zu repräsentieren. Sie war hübsch, redegewandt, auf reizende Weise schüchtern, sexy und sehr sprachbegabt. Und der Stolz auf ihre Heimatstadt drang ihr aus sämtlichen Poren. Allerdings verbarg sich hinter ihrer heiter-fröhlichen Fassade eine weitaus weniger glamouröse Realität: lange Arbeitszeiten mit sehr wenig Freizeit und die Notwendigkeit, sich mit Vater und Bruder eine winzige Wohnung teilen zu müssen. Alle drei gingen arbeiten, nur erledigte sie auch noch den gesamten Haushalt und das Kochen. Wie in den meisten unterprivilegierten Gesellschaften sind auch in Bolivien die Frauen gezwungen, schwerer zu arbeiten als die Männer.
    Eine alte Frau in einem kleinen Dorf fand Gefallen an uns und lud uns ein, sie auf dem Berg zu besuchen und Tee bei ihr zu trinken. Sie war ein wunderbares, drahtiges Geschöpf mit viel Sinn für Humor. Auf dem Hof hinter ihrem Haus lag ein Ziegenkalb mit aufgeschlitzter Kehle, seine Mutter hatte keine Milch gehabt. Nana und ihr Mann stellten im Frühling Käse aus Ziegenmilch her. Ihre düstere, mittelalterlich ausgestattete Küche war von Rauch geschwärzt. Sie kauerte sich auf einen niedrigen Hocker und schob Äste und getrocknete Maiskolben in den Ofen. Dann bereitete sie einen Kokablätter-Tee und eine Suppe aus Kartoffeln und Mais zu, die köstlicher schmeckte als alles, was ich je in einem Restaurant serviert bekommen habe. Zum Mittagessen gab es riesige blasse Maiskerne, Quinoa, köstliche Kartoffeln, Reis (mit kohlehydratreicher Kost versucht man in Bolivien, bei Kräften zu bleiben) und ein Hamburger-Steak! Die Bolivianer aßen mit den Fingern, und die Kinder schnippten sich gegenseitig spielerisch die Kartoffelschalen auf die Teller. Bolivianer, die in den Bergen leben, sind stämmig und kräftig, weil sie schon immer so gelebt haben. Sie sind sehr würdevoll, geduldig und sehen genauso aus wie die alten Inkas, von denen sie abstammen. Sie sind sehr liebenswerte Menschen, die den Sinn von Abenteuerreisen nicht nachvollziehen können. Begriffe wie Freizeit und Reisen haben in ihrem Weltbild keinen Platz. Für sie sind das Überleben, die Familie und die Religion die Säulen ihres Daseins. Die Bäuerinnen tragen keine Unterhosen und hocken sich einfach auf den Boden, wenn sie pinkeln müssen, was dank ihrer weiten, bunten Röcke keinerlei Problem darstellt. Was die Kleinkinder tun, konnte ich nicht herausfinden, weil ich nicht dicht genug an sie herankam. Sie starrten mein leuchtend rotes Haar wie gebannt an – weniger bewundernd, sondern eher mit verblüfftem Staunen.
    Potosi empfand ich als sehr harte, freudlose und unattraktive Stadt, trotz der Überreste prächtiger Kirchen und seiner kolonialen Architektur. Seine unehrenhafte Geschichte – riesige Silberminen, mit Blut besudelt und von unvorstellbarer Grausamkeit kündend – scheint die Seele dieser Stadt verdorben zu haben. Während der ganzen zehn Reisetage habe ich bestenfalls drei Stunden Schlaf bekommen, insofern ist jedes Bild von mir, wie ich schlafe, eine Verzerrung der Realität. Schlimm genug, dass man mich überredete, ohne Make-up zu drehen, aber keiner erwähnte die chronische Höhenkrankheit und die Tatsache, dass ich kein Stäubchen des Nationalprodukts, Kokain, bekommen würde, um wach zu bleiben, und nichts als zweihundertfünfzig verschiedene Sorten Kartoffeln auf den Tisch kämen. Nein, das ist nicht fair – ich habe auch eine ziemlich leckere Mahlzeit aus Quinoa-Suppe, Lamasteak und Chips zu mir genommen. À propos Kartoffeln: irgendwann stießen wir auf einen sehr schönen Markt, wo ich jede Menge der Knollen gekauft habe, darunter auch getrocknete, die wie Kichererbsen aussehen. Auf diesem Markt gab es massenhaft Obst und Gemüse und Tierkadaver, teilweise noch mit Fell, die an Haken baumelten. Frauen trugen die in bunte Decken gehüllten, noch blutigen Kadaver auf dem Rücken durch die Menge. Häufig waren sie sehr schüchtern und bedeckten ihre Gesichter, wenn wir versuchten, sie zu filmen.
    Unser Hotel war eine einfache Bleibe ohne Heizung, was höchst unangenehm war, weil es immer kälter wurde und wir praktisch unsere rechte Hand hergeben mussten, damit uns das Personal Flaschen mit heißem

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