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Wer weiter sehen will, braucht hoehere Schuhe

Titel: Wer weiter sehen will, braucht hoehere Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peta Mathias
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Wasser zur Verfügung stellte. Und da wir keine Schlafsäcke mitgenommen hatten, mussten wir sie dafür bezahlen, uns zusätzliches Bettzeug zu besorgen, um wenigstens halbwegs warm zu werden. Ich schlief kaum, sondern lag stocksteif und vollständig bekleidet im Bett und fragte mich, weshalb ich mir das antat. Wie konnte man nur glauben, Entbehrungen und harte Lebensbedingungen seien eine Bereicherung? Wo war meine Mami? Wieso gab es keinen Gott?
    Die Menschen in Potosi stehen den ganzen Tag unter dem Einfluss ihres selbstgebrannten Fusels und Kokablättern, was die einzige Möglichkeit darstellt, halbwegs bei Sinnen zu bleiben und die Härte des Lebens in dieser Gegend zu überstehen. Viele Männer leiden unter dem sogenannten Fassthorax, einem unnatürlich gewölbten Brustkasten, und quälendem Husten. Die von Natur aus sanftmütigen Bolivianer verhalten sich Fremden gegenüber zurückhaltend, aber gleichmütig, sie zeigen sich weder sonderlich interessiert noch desinteressiert. Beispielsweise würde man nie jemandem auf die Pelle rücken und ihn zu überreden versuchen, etwas zu kaufen. Die Menschen sind sehr religiös, wobei sich der Katholizismus mit einer eigenen Form des Inka-Paganismus mischt. Ihr Daseinszweck besteht darin, zu arbeiten und Waren herzustellen, in einer einstigen Minenstadt gibt es wenig Hoffnung auf Alternativen. Die Minen mit ihren blutbesudelten Eingängen sind niedrig und klaustrophobisch, dunkel und geheimnisvoll. Die Behandlung der Minenarbeiter machte mich traurig und entsetzte mich. Ich überwand mich, Speichel mit einer Gruppe berauschter Männer auszutauschen, die eine »mit Kräutern gefüllte« Zigarette herumgehen ließen, auch wenn sich dadurch ihr Leid nicht schmälerte, sondern ich mich lediglich ein bisschen besser fühlte. Und ich probierte einen Schluck von ihrem Fusel.
    Seltsamerweise empfand ich es als gar nicht so unangenehm, Kokablätter und die Pottasche zu kauen, die dazugehört, um die Alkaloide aus den Blättern herauszulösen, während der Rest der Gruppe es fürchterlich fand. Ich hätte alles getan, nur um die Symptome der Höhenkrankheit loszuwerden, die noch schlimmer geworden war, als wir mit Potosi die höchste Stadt der ganzen verdammten Welt betreten hatten. Ich war so außer Atem, dass ich es kaum ins Restaurant schaffte, wo wir eine Runde Conga tanzten, der mich beinahe umbrachte. Zu unseren Produktionsmeetings tranken wir Wein und den lokalen Fusel, kauten Kokablätter und aßen Schokolade.
    Die Nacht verbrachten wir in einem Hotel namens Laguna Verde – ein fieses Drecksloch in einem üblen Slum. Keinerlei Komfort, verdreckte Toiletten und kein einziger Boiler oder Kamin im ganzen Haus, obwohl draußen Minusgrade herrschten. Ein Glück, dass wir uns mittlerweile daran gewöhnt hatten, in unseren Kleidern zu schlafen, denn ich war sicher, dass die Laken nicht sauber waren. Die Köchinnen waren reizende junge Frauen mit tiefschwarzem Haar, das ihnen bis zu den Hüften reichte, und fröhlichen bunten Strohhüten. Das Essen in dem eiskalten Speisesaal war einfach, aber schlicht und ergreifend ungenießbar. Der Vorteil an abenteuerlichen Reisen und miesen Bedingungen ist, dass alle im selben Boot sitzen. Also betranken wir uns jeden Abend gegen die Kälte und vertrieben uns mit Geschichten die Zeit, über die wir uns halb totlachten. Inzwischen weiß ich, dass ich notfalls auch der Fremdenlegion beitreten könnte. Es wäre ein Kinderspiel. Ich könnte problemlos drei Tage ohne Nahrung und Wasser unter einer geschlossenen Schneedecke verharren und auf den Feind warten.
    Morgens sah ich unseren Fahrer mit Eiskristallen im Haar auf dem Hof herumgehen und nahm an, dass er auch so geschlafen hatte. Ich fühlte mich mies, als ich nach einer Nacht mit sechs anderen im Raum aufwachte. Die Schweizer verloren allen Ernstes ihren Sinn für Humor. Ich vermute, sie waren die Einzigen, die sich in dieser Situation normal verhielten, während wir, die ständig lachten, uns abends im Bett irgendwelche Witze erzählten und die Tapferen mimten, in Wahrheit diejenigen waren, die sich danebenbenahmen. Fünf Tage waren vergangen, seit ich mich das letzte Mal etwas gewaschen hatte. Von meiner Kleidung ganz zu schweigen. Zu meiner Verwunderung fühlte es sich gar nicht so übel an. Zum Glück war es ja ziemlich kalt. Schließlich besuchten wir heiße Quellen und hatten Mühe, nicht laut zu schreien, als wir unsere eiskalten Füße in das Becken mit dem warmen Wasser tauchten. Die

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