Wer weiter sehen will, braucht hoehere Schuhe
Gegensatz zu vielen anderen Mädchen dank des Biologieunterrichts, wie eine Frau von innen aussah. Wir wussten, was die Zervix war, nur die Klitoris hatte man auf den Diagrammen geflissentlich unterschlagen.
Ich begab mich von der Obhut der Nonnen geradewegs in die Obhut der Leiterinnen der Schwesternschule. Als es an der Zeit war, mich mit knapp zwanzig mit dem Thema Verhütung zu befassen, ging ich zum Arzt (selbstredend nicht zu unserem Hausarzt), erklärte ihm, dass ich von meiner Empfängnisbereitschaft befreit werden wolle und fragte, was er dagegen tun könne. Damals redeten Ärzte nicht über Sexualität, emotionale Probleme oder zu dicke, hässliche Knöchel. Ebenso wenig wie sonst jemand. Man vertraute sich weder seinen Eltern an, noch suchte man Psychologen auf, und Priester waren hoffnungslose Fälle, weil sie sich nicht anders behelfen konnten, als einem nur immer mehr Rosenkränze aufs Auge zu drücken. Der Arzt war entsetzt und meinte, die Pille sei lediglich für verheiratete Frauen gedacht, die dem Land bereits ihre Fruchtbarkeit bewiesen hatten, und nicht für schamlose Achtzehnjährige. Also erfand ich kurzerhand einen unregelmäßigen Zyklus mit heftigsten Beschwerden und schilderte mein Anliegen einem zweiten, anderen Arzt. Er verschrieb mir prompt ein neues Hormonpräparat, mit dem sich alles unter Kontrolle halten ließ – die Pille.
Die ganze Angelegenheit ging mir ohnehin gehörig auf die Nerven. Jungs blieben all diese Torturen erspart. Sie mussten sich nicht von Wildfremden befingern lassen, brauchten sich nicht vor einer Schwangerschaft zu fürchten und Tabletten zu schlucken, um sie zu verhindern, und keiner zwang sie, sich wie eine echte Dame zu benehmen. Ich wäre schon immer gern ein Junge gewesen, denn mir war bereits früh aufgegangen, welche intellektuellen, gesellschaftlichen und körperlichen Vorteile ein Leben als Junge hatte. Man erwartete von ihnen, dass sie für sich selbst dachten und Entscheidungen trafen, dass sie Durchsetzungsvermögen an den Tag legten und sich ihren Pflichten stellten. Ich will nicht übertreiben, aber sie schienen einfach freier und unbelasteter zu sein als Mädchen. Als Junge wäre es entschieden einfacher gewesen, sich ein eigenes Leben aufzubauen.
Liebe und Sex in anderen Ländern
Dank meines Berufs als Diplomkrankenschwester galt ich auf so ziemlich jedem Gebiet als Expertin, deshalb bekam ich nach meinem Umzug nach Kanada auch einen Job als Beraterin für Drogen- und Alkoholmissbrauch in einem Jugendschutzprogramm. Bereits nach kurzer Zeit entdeckte ich eine gewaltige Marktlücke und beschloss, Kurse in Sexualkunde anzubieten.
»Wer möchte mehr über Sex wissen?«, fragte ich meine Klienten, wie sie respektvoll bezeichnet wurden, Teenager, die in ihrer juvenilen Langeweile in meinem Büro lümmelten und fläzten.
»Wir wissen doch schon alles«, erwiderten die Jungs grinsend.
»Davon träumt ihr«, konterten die Mädels mitleidig.
»Ich wette, ihr habt nicht die geringste Ahnung von der Anatomie, dem Fortpflanzungsapparat und davon, wie man eine Beziehung führt«, sagte ich. Sie musterten mich nur mit ausdruckslosen Mienen.
Die Welt jugendlicher Straftäter ist von Machismo geprägt und ich wusste, dass kein Erwachsener ihnen jemals so etwas wie Verantwortungsbewusstsein, Wahlmöglichkeit oder auch nur die Tatsache vermittelt hat, dass es einen Unterschied zwischen Liebe und Sex gibt. Ich bewegte mich also auf dünnem Eis, da ich selbst nicht so genau wusste, wo der Unterschied liegt, vertraute jedoch auf das Prinzip, dass ich, wenn ich mich auf sie einließ, durchaus noch dazulernen konnte.
»Also, ihr besorgt mir ein paar große Zeichenblätter und legt sie alle nebeneinander auf den Boden«, forderte ich sie auf und holte die Filzstifte. Dann legten wir uns alle auf den Boden.
»Okay, und jetzt schreiben wir alle Wörter auf, die wir für Sex kennen.«
Unter großem Gelächter und Gequieke schrieben wir eine Viertelstunde lang alles auf, was uns einfiel, ein Experiment, das mir eine Erweiterung meines Vokabulars um glatte 80 Prozent bescherte.
»Und jetzt dreht die Blätter um und schreibt jedes Wort für Vagina und Penis auf.« Verlegenes Schweigen.
»Boah, krass«, bemerkte eines der Mädchen beim Anblick eines Wortes, das ein Junge niedergeschrieben hatte. »Die Wörter, die wir für den Penis haben, sind viel netter.«
Mir dämmerte, dass sie eher mir etwas beibrachten als umgekehrt. Die Jungs und Mädchen waren ehrlich
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