Wer wir sind
durchdrungen von Freude. Es ist wie in dem Hölderlingedicht,
Es kommt der neue Tag aus fernen Höhn herunter,
Der Morgen der erwacht ist aus den Dämmerungen,
Er lacht die Menschheit an, geschmückt und munter,
von Freuden ist die Menschheit sanft durchdrungen.
Wie schön das ist, wie hell und heiter. Ein junger Gott tritt Mildred aus diesen Versen entgegen, arglos und leichtfüßig, Mildred denkt mit einmal, dass sie Arvid heiraten wird. Sie haben einander noch nicht geküsst. Mildred denkt, dass Arvid sie heute küssen wird.
Dass er sie heute fragen wird,
Willst du mich heiraten?
Und natürlich wird sie Ja sagen.
Ja, ja, ja, ja!
Sie kann seine Frage fast nicht mehr erwarten.
Sie kann seinen Kuss kaum erwarten. Sie muss tief Atem holen, als erhöbe sich etwas in ihr, das mehr Luft unter den Schwingen verlangt, dies ist die Höhe, auf der sie fortan leben wird. Sie sieht Arvid an, von der Seite: das schon vertrauteProfil, klar vor dem Morgenhimmel, den ernsten Mund, die geraden Brauen,
You must be he I was seeking.
I have somewhere surely lived a life of joy with you,
You grew up with me, were a boy with me,
I ate with you, and slept with you –
Arvid wendet sich ihr zu. Mildred hält ihm ihr Gesicht entgegen.
Well done, Harnack!
Die Freunde, die Schwäger klopfen ihm auf die Schultern, an diesem 7. August 1926. Nun ist Arvid verheiratet. Nun lernt er Amerika kennen. Nun lernt er, Geschmack an Potato Chips und Root Beer zu finden, er lernt amerikanische Lieder, schließt neue Bekanntschaften. Sie lesen Shakespeare mit verteilten Rollen, in den langen Winternächten, sie fliegen in der Winterdunkelheit im Segelschlitten übers Eis des Lake Mendota und braten hinterher Hammelkoteletts am offenen Feuer unter dem Sternenhimmel. Sie trinken eine Flasche geschmuggelten Weins in der Küche ihrer winzigen Wohnung, sie sitzen auf Stühlen, die ihnen eine Professorengattin ausgeliehen hat, an dem von einer anderen Professorengattin geliehenen Gartentisch, Arvid löst Mildreds Haar. Mildred nimmt Arvids Brille ab. Wie haben sie nur gelebt ohne einander? Wie haben sie es ertragen, einander nicht zu kennen? Und natürlich wird Mildred an Arvids Seite bleiben. Im Frühling 1928 endet Arvids Stipendium. Arvid muss nach Deutschland zurückkehren. Mildred wird noch einen Kurs halten, über den Konflikt zwischen Ästhetik und Ethik bei Hawthorne, und dann wird sie ihm übers Meer folgen.
»Wie romantisch!«
Mildreds Freundinnen umdrängen Mildred. Was für einAbenteuer, sich in einen Ausländer zu verlieben, in einen jungen europäischen Wissenschaftler, wie glamourös, ihm nachzureisen in die Alte Welt,
Allons! after the great Companions, and to belong to them!
Allons! through struggles and wars!
Camerado, I give you my hand!
Und in zwei Stunden ist es so weit.
Es ist jetzt elf Uhr morgens. In zwei Stunden wird Mildred von Bord gehen. Sie wird angekommen sein, in Bremerhaven, bei Arvid, Mildred hat sich ungeduldig nach ihm gesehnt. Sie hat sich nach Deutschland gesehnt, nach Europa, wo ihr Leben nun endlich anfangen wird, natürlich wird Mildred Zeit brauchen, um sich in der Fremde zurechtzufinden. Sie hat sich aber gut vorbereitet. Sie ist auf der Überfahrt viel allein gewesen. Sie hat Emersons Ratschlag beherzigt,
To go into solitude, a man needs to retire as much from his chamber as from society. I am not solitary whilst I read and write, though nobody is with me. But if a man would be alone, let him look at the stars.
Jede Nacht ist Mildred an Deck gegangen und hat allein zu den Sternen hinaufgeblickt. Jeden Tag hat sie viele Stunden an der Reling gelehnt, tatenlos, ohne Buch, während der Bug des Schiffs durch die Wellen schnitt, das Wasser vor ihr aufrauschte, die Zukunft ihr streng und wundervoll entgegenblies wie der salzige Wind, der keine Spur von vertrautem Landgeruch mehr trug. Sie glaubt nun zu wissen, was die europäischen Auswanderer bei ihrer Überfahrt nach Amerika empfunden haben müssen, die Väter jener amerikanischen Patrioten, die Amerikas Unabhängigkeit und Freiheit erkämpft, die Mildreds Heimat gegründet haben. Mildred hat sich gesagt, dass diese Heimat unverlierbar ist. Mildreds Heimat ist nun nichtmehr der amerikanische Boden. Mildreds Amerika ist eine Heimat des Geistes und des Herzens, das jeden willkommen heißt, der aufrechten Gemütes ist, ein geläutertes Amerika, das auf der offensichtlichen Wahrheit gründet,
that all men are created equal, that they are endowed by
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