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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
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von Harnack.
    »Wenn ich dir kurz meine Ansicht der Lage«, sagt Hans Delbrück.
    Das ist das Zeichen. Die Damen erheben sich, die Kinder springen auf. Die Herren entzünden Zigarren, während um sie herum eilig das Schlachtfeld geräumt wird.
    »Man wundert sich doch über Admiral von Tirpitz’ Forderung nach dem uneingeschränkten U-Boot-Krieg«, sagt Hans Delbrück zu seinem Schwager. »Selbst wenn uns das den Sieg bringen würde, was ich nicht glaube, muss man sich fragen, was damit gewonnen wäre. Dauernder Friede wird doch nur möglich sein, wenn wir zeigen, dass Deutschland bereit ist, eine Macht unter anderen Mächten zu sein. Wenn wir jeden Anschein vermeiden, als befänden wir uns auf einem sozusagen napoleonischen Weg und strebten nach der Unterwerfung anderer Nationen.«
    »Ich bin in diesem Punkt ausnahmsweise einmal ganz deiner Meinung«, sagt Adolf von Harnack. »Hast du meinen Artikel im ›Tag‹ gelesen? Ich bin darin Zedlitz entgegengetreten, der sich ebenfalls darüber ereifert, dass nicht alle zur Verfügung stehenden Machtmittel eingesetzt werden, um Deutschland zum Sieg zu verhelfen. Seiner Meinung nach gehen Entscheidungen auf der Grundlage humanitären Gedankenguts auf Kosten deutscher Interessen. Aber wie kann der äußerste Einsatz aller Kampfmittel jemals im Interesse Deutschlands liegen? Man muss doch wenigstens die diplomatischen und handelspolitischen Folgen abschätzen, wenn man schon sonst keine Maßstäbe mehr kennt. Ich hatte gestern ein längeres Gespräch mit dem Reichskanzler. Ich habe ihm zu bedenkengegeben, dass auch politische Entscheidungen letztlich der sittlichen Betrachtung unterworfen sind, dem Spruch des Gewissens. Natürlich gelten in der Politik andere ethische Regeln als im Privatleben. Aber auch einer Regierung wird am Ende nur vertraut werden, wenn sie sich an die Regeln der politischen Ethik hält.«
    »So ist es«, sagt Hans Delbrück. Er streift die Asche seiner Zigarre ab und lässt den Blick aus dem Fenster schweifen. »Letztlich muss man sich fragen, ob unsere heutigen Entscheidungen auch noch von Nachkommen gebilligt werden können, die unsere beschränkten und kurzlebigen Interessen nicht teilen. Aber solch weiten Blick wird man von Tirpitz wohl nicht erwarten können.«
    Der Krieg ist blöde, aber er ist nötig. Das hat Harro Schulze längst kapiert. Der Großneffe des Großadmirals Alfred von Tirpitz, ältester Sohn des Korvettenkapitäns Erich Edgar Schulze und seiner Frau Marie-Luise, geborene Boysen, vermisst seinen Papa sehr. Aber für das Vaterland, die Volksgemeinschaft, den Sieg muss man Opfer bringen. Und die Engländer muss man verachten, das weiß Harro auch. Die Engländer kennen keine höheren Werte. Sie sind ein Volk von Händlern. Ihnen geht es nur um Geld und Gewinn und um Mehrung ihrer Macht. Sie haben keinerlei echte Moral: Sie versuchen nur mit allen möglichen tückischen Tricks zu verhindern, dass die Deutschen auch mal drankommen und Kolonien in Asien oder Afrika haben, und die Franzosen sind auch nicht besser, Harro ist am Sedantag 1909 geboren, dem Jahrestag des entscheidenden Siegs über die Franzosen in der Schlacht von 1870. Die Mutter hat Harro erklärt, dass dieses Geburtsdatum ein Grund ist, stolz zu sein. Harro schreibt seinem Papa an die Front.
    Ich freue mich, wenn ihr die Engländer wegjagt. Wann istwohl der Krieg zu Ende? Wir hätten Dich Weihnachten so gern hier gehabt.
    Harro ist letztes Jahr in die Vorschulklasse des Realgymnasiums Schmargendorf aufgenommen worden. Er konnte schon vorher ein bisschen lesen und schreiben, aber inzwischen klappt es richtig gut. Harro schreibt,
    Lieber Papa,
    ich habe Dich immer noch lieb. Ist der Krieg nicht bald zu Ende? Das Bild und den Spruch von Friedrich dem Großen habe ich bekommen, auch den Aufruf des Kaisers an Heer und Flotte. Ich habe ihn gerne gelesen. Gestern war wieder ein großer Ball, wir haben alle getanzt und etwas vorgeführt und danach noch Grießspeise gegessen. Wir dichten hier sehr viel. Ich habe keine Zeit mehr, viele Grüße von Deinem Sohn Harro
    Dann ist der Krieg tatsächlich zu Ende. Harros Papa scheidet aus der Marine aus und kommt nach Hause. Harro freut sich natürlich, aber es wurmt ihn auch. Es ist doch irrsinnig ungerecht, dass ausgerechnet die perfiden Engländer den Krieg gewonnen haben, und auch noch die Franzosen, der Erbfeind. Der Kaiser hat sich ziemlich geräuschlos nach Doorn in den Niederlanden verkrümelt. Die Revolution hat die Monarchie

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