Wer zuletzt lacht, küsst am besten: Roman (German Edition)
Stempel aufdrücken. Sie dachte auch ernsthaft darüber nach, die Ahnenporträts im oberen Flur abzuhängen. Falls sie je Kinder hätte, sollten die vielen Vorfahren sie nicht zu Tode erschrecken, wie sie es mit ihr gemacht hatten.
Sie blätterte zu dem Teil im Testament, in dem ein ungenannter Begünstigter berücksichtigt wurde. Sie führte die Flasche an die Lippen und runzelte die Stirn. Sie wusste nicht, ob sie die Klausel falsch verstanden hatte oder ob sie nicht richtig verlesen worden war, aber in der Klausel stand etwas von einem Treuhandfonds, der für einen ungenannten Begünstigten eingerichtet worden sei. Einen ungenannten Begünstigten, der am zehnten Juni 1985 in Las Cruces, New Mexico, geboren wurde.
Am zehnten Juni 1985? Was zum Teufel sollte das heißen? Las Cruces, New Mexico? Für sie konnte der Treuhandfonds nicht sein. Sie war in Amarillo geboren. Und mit ihren zukünftigen Kindern konnte es auch nichts zu tun haben. Was hatte das zu bedeuten?
Als die Hintertür zuknallte, zuckte Sadie zusammen.
»Ich hab dich vorfahren sehen«, zwitscherte Clara Anne, während sie die Küche betrat. »Wenn du Hunger hast, kann ich dir was aus dem Küchenbau holen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Clara Anne, du warst doch dabei, als Daddys Testament verlesen wurde.«
»Klar. So ein trauriger Tag.«
»Erinnerst du dich da dran?«
»Woran denn, Herzchen?« Clara Anne beugte sich über das Dokument, und ihre Haare neigten sich leicht zur Seite. Sie schüttelte den Kopf. »Was ist das?«
»Ich bin mir nicht sicher, aber warum sollte mein Daddy einen Treuhandfonds für einen ungenannten Begünstigten einrichten, der am zehnten Juni 1985 in New Mexico geboren wurde?«
Clara Anne kräuselte Stirn und Nase. »Steht das da drin?«
»Ich denke schon. Hast du das an dem Tag gehört, als das Testament im Anwaltsbüro verlesen wurde?«
»Nein, aber nach mir kannst du da nicht gehen. Ich war aufgelöst wie eine Brausetablette.« Sie richtete sich wieder auf. »Zehnter Juni 1985«, überlegte sie und schnalzte nachdenklich mit der Zunge. »Ich frag mich, ob das was mit Marisol zu tun hat. Sie hat uns damals so überstürzt verlassen.«
Sadie ließ ihre Cola auf den Tisch sinken. »Wer?«
»Frag Mr Koonz«, schlug Clara Anne vor und kniff die Lippen zusammen.
»Das werde ich. Wer ist Marisol?«
»Es steht mir nicht zu, darüber zu reden.«
»Das hast du schon getan. Wer ist Marisol?«
»Das Kindermädchen, das dein Daddy gleich nach dem Tod deiner Mama engagiert hat.«
»Ich hatte ein Kindermädchen?«
»Ein paar Monate, und dann ist sie wieder gegangen. Sie war von einem auf den anderen Tag verschwunden.« Clara Anne verschränkte die Arme unter ihren Brüsten. »Etwa ein Jahr später kam sie mit einem Baby zurück. Aber wir haben nie geglaubt, dass es von deinem Daddy war.«
»Was?« Sadie stand kerzengerade da, bevor sie überhaupt merkte, dass sie aufgesprungen war. »Was für ein Baby?«
»Ein Mädchen. Wenigstens war die Decke rosa. Wenn ich mich recht erinnere.«
»Ich hab eine Schwester?« Das war verrückt. »Und ich erfahre jetzt erst davon?«
»Wenn du eine Schwester hättest, hätte dein Daddy es dir gesagt.«
Ratlos rieb sie sich das Gesicht. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.
»Und glaubst du nicht, dass alle in der Stadt darüber getratscht hätten?« Clara Anne schüttelte den Kopf und ließ die Arme wieder sinken. »Das würde heute noch genüsslich im Wild Coyote Diner durchgekaut.«
Das stimmte allerdings. Wenn Clive Hollowell ein uneheliches Kind hätte, wäre das an jedem Esstisch der Stadt Gesprächsthema Nummer eins. Davon hätte sie längst Wind bekommen.
»Andererseits waren Carolynn und ich an dem Tag als Einzige hier, als Marisol plötzlich aufkreuzte. Und wir haben nie einer Menschenseele davon erzählt.«
ACHTZEHN
Die Kadaver-Bar hatte sich in den letzten zehn Jahren nicht viel verändert. Country-Musik waberte noch aus derselben Wurlitzer-Jukebox, alte Straßenschilder und ausgestopfte Tiere schmückten noch die Wände, und aus einer Vitrine hinter der Bar aus Mahagoniholz konnte man Gürtel aus Klapperschlangenhaut und Handtaschen aus gegerbten Gürteltieren erwerben. Der Besitzer der Kadaver-Bar war nebenbei auch Tierpräparator, und man erzählte sich, dass Velma Patterson, die Arme, ihn beauftragt hatte, ihren armen kleinen Kläffer Hector, das bedauernswerte Opfer eines fahrerflüchtigen Unfallfahrers, auszustopfen.
Sadie hockte an einem Tisch in der hinteren
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