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Werbevoodoo

Titel: Werbevoodoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ono Mothwurf
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stehen. Aber Tag für Tag wuchs die Furcht, längst die Lager gewechselt zu haben und zu den Drögen zu gehören.

9. Apropos Drogen
    Man lebte sehr im Hier und Jetzt. Das war bei den Zeitgeist-Journalisten so. Das war bei der kreativen Bohème so. Und auch die Agentur SCP bildete da keine Ausnahme. Obwohl in keiner der klassischen Werbemetropolen beheimatet, legte man hier Wert auf die klassischen Tugenden der Branche. In traditionellen Wirtschaftszweigen hießen die wohl Fleiß, Sparsamkeit, Geduld, Ausdauer. Bei der Spezies der Kreativen wies der Kompasskurs in die entgegengesetzte Richtung: Extravaganz, Genusssucht, Ausschweifung waren die Leitmotive. Und zwischen alledem natürlich Überstunden, Überstunden, Überstunden. Der alte Schneidervater hatte in jahrzehntelanger Praxis die ideale Balance zwischen diesen Arbeitsmaximen gefunden. »Wer eine Agentur gewinnorientiert führen will, darf an allem sparen. Nur nicht am Vergnügen.« Und so waren die Underbeachclub-Partys, die jeden ersten Freitag im Monat starteten, berühmt in der Werbe-Community des ganzen Landes. Bei den bayerischen Werbekunden begriff man lange Zeit nicht, warum die Agenturen so scharf darauf waren, ausgerechnet an den ersten Freitagen im Monat aus Hamburg und Berlin nach München zu kommen. Die Partys waren Magneten, die im Laufe der Zeit immer stärker zogen. Obwohl SCP nun wahrlich keine Kreativ-
Adresse war. Aber jeder überarbeitete Großstadt-Kreative träumte in seinem hippen Kreativ-Laden in irgendeiner überhitzten deutschen Metropole insgeheim von einem chilligen Werbe-Ruhestand am Starnberger See. Niemand hätte es jemals offen zugegeben. Offiziell galt in der Branche immer noch das Ziel: ›New York – if you can make it there, you make it everywhere!‹. Und wer es nicht nach New York schaffte, konnte immer noch nach Berlin gehen. Und danach nach Hamburg. Oder Düsseldorf. Wenn es unbedingt sein musste, auch nach München. Aber Starnberg? Starnberg tauchte auf der Wunschliste gar nicht auf. Abfällig nannte man solche Agenturen Gnadenhöfe. Großzügige Agenturen auf dem Land, die sich ein bisschen im Glanz berühmter alter Rennpferde sonnten und sie zur Belohnung dafür zu Tode fütterten.
    Doch die Gästeliste, die zwölfmal im Jahr aufgemacht wurde, sagte das Gegenteil. Und die Gnade bestand nicht darin, der Provinzagentur einen Besuch abzustatten, sondern überhaupt eingeladen zu werden.
    Der Club, den Schneidervater an die Seekante bauen hatte lassen, war selbst bei Interior-Designern in London berühmt. Dass sich die Anrainer über das Bumbum bumbum der Bässe, die nachts über dem glatten See bis hinunter nach Ambach gedonnert waren, immer wieder bei ihm beschwert hatten, war ihm anfangs egal gewesen. Damals hatten die Partys noch im Bootshaus direkt am Wasser stattgefunden. Dann hatte er den Gesamtetat der Kosmetikmarke Dr. G. Cosmetics gewonnen, und bei der Vertragsunterzeichnung hatte ihm der Seniorchef mit einem Augenzwinkern erklärt: »Das unterschreibe ich aber nur, wenn der Krach Ihrer jungen Leute am Freitag aufhört.« Doktor Gnadenhain bewohnte ein grandioses Palais in Kempfenhausen und war zur Vertragsunterzeichnung mit seinem Riva Aquarama herübergekommen, einer Mahagoni-Motorjacht von 1962, die immer noch aussah, als wäre sie brandneu. War sie im Grunde ja auch, die Rambeck-Werft in Percha hatte mittlerweile jeden Millimeter des Bootes ausgetauscht, erneuert, verbessert. Gnadenhain und Schneidervater kannten sich vom Segeln, der Bund war am Wasser geknüpft und sollte auch am Wasser geschlossen werden. Den Krach am Freitag abzustellen – das war natürlich eine Aufgabe, gegen die es vier Millionen Euro Jahreshonorar aufzuwiegen galt. Also ließ Schneidervater das Betonfundament, das den Hang, an dem die Agenturvilla gebaut war, daran hinderte, in den See zu rutschen, verstärken. Mithilfe eines listigen Gutachters, eines gerissenen Architekten und eines außergewöhnlich unaufmerksamen Amtsleiters in der Bauverwaltung. Anstatt über dem Wasser im Bootshaus wurden die wilden Partys nun zwei Etagen tiefer gefeiert. ›Das Wasser steht dir bis zum Hals? Du willst es nicht anders!‹ stand im Treppenabgang. Und tatsächlich – jeder ging freiwillig weiter runter. Und kam erst wieder hoch, wenn die Sonne aufging. Das war genau der Moment, für den der Underbeachclub geschaffen war.
    »Stellen Sie sich vor, die Sonne geht auf. Sie tauchen im See. Und Sie bleiben dabei trocken.« So hatte der Architekt

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