Werden sie denn nie erwachsen?
ausfielen, wurde hingenommen.
Eine ländliche Schule, die ihre Schüler aus den mehr oder weniger weit entfernten Ortschaften bezieht – deshalb heißt es ja auch Einzugs-Gymnasium –, muß für Transportmöglichkeiten sorgen. Sie heißen Schulbusse und fahren zweimal täglich, nämlich morgens vor Schulbeginn und mittags nach Schulschluß. Da sie in der Regel mindestens ein halbes Dutzend Dörfer abklappern, sind diejenigen Schüler am schlechtesten dran, die als erste eingebaggert werden. Die Zwillinge gehörten dazu und mußten früh um sieben an der Haltestelle sein.
Folglich waren sie umgekehrt auch die letzten, die wieder ausgeladen wurden. Mittagessen gab es bei uns nie vor zwei Uhr, oft genug später, weil es unterwegs eine ampelgeregelte Baustelle gegeben hatte, die morgens noch nicht dagewesen war, oder weil plötzlich ein Reifen platt gewesen war oder der Fahrer auf dem Abstellplatz die Zeit verpennt hatte. Wie oft es statt der zerkochten Salzkartoffeln schließlich Kartoffelbrei gegeben hat, weiß ich nicht mehr. Nudeln warf ich grundsätzlich erst in den Topf, wenn die Mädchen vor der Tür standen. Dann gab es bei uns eben Mittagessen, wenn andere Leute schon die Kaffeetassen auf den Tisch stellten.
Doch daran kann man sich gewöhnen. Problematisch wurde die ganze Sache allerdings, als mit der »erweiterten Oberstufe« die Kurse begannen. Da hatte Nicki in der dritten und vierten Stunde Chemie, danach nichts mehr und erst am Nachmittag wieder Computer-AG und Musik.
Katja dagegen, die von Naturwissenschaften nichts hielt und alles, was abwählbar gewesen war, auch prompt abgewählt hatte, mußte morgens zur ersten Stunde antreten, weil da der Deutsch-LK begann. Im Anschluß daran kam Geschichte, ein Fach, auf das Nicki verzichtet hatte, und danach war sie fertig. Dafür hatte sie am nächsten Tag acht Stunden und Nicole bloß fünf.
Nun waren die Zwillinge zum erstenmal getrennte Wege gegangen, und schon wuchs sich dieser Entschluß zur Katastrophe aus. Ich verbrachte einen Teil des Tages auf der Landstraße, fuhr die eine Tochter um zehn zur Schule, holte die andere um halb drei ab, nahm die erste gleich mit, obwohl sie noch eine Stunde Zeit gehabt hätte, holte sie um fünf wieder ab … versuchte, Fahrgemeinschaften zu organisieren, kapitulierte, weil tatsächlich alle sieben Schüler aus unserem Ort sieben verschiedene Stundenpläne hatten, schimpfte, fluchte, kannte inzwischen jeden Kilometerstein auf der Strecke und hatte schließlich die Nase voll.
Sechs Wochen später hatten die Mädchen ihre Führerscheine und eine Woche darauf die Ente.
Fortan holte ich Nudeln und Waschpulver wieder mit dem Fahrrad. Ich hatte nämlich nicht berücksichtigt, daß diese hübschen rosa Scheine nicht nur zum Fahren der Ente berechtigten, sondern quasi ein Freibrief für das Requirieren jedes familieneigenen Fahrzeugs waren. Und davon gab es mehrere. Das väterliche Auto stand allerdings erst abends zur Verfügung, doch immer noch früh genug, um damit in die Disko, ins Kino oder auch nur fünf Straßen weiter zur Freundin zu fahren. Wenn Steffi mal wieder Krach mit Horst Herrmann gehabt hatte und samt Übernachtungsköfferchen bei uns vor der Tür stand, wurde sofort ihr Polo beschlagnahmt, denn mit der Ente war gerade Katja unterwegs, und Nicki mußte dringend zwecks Klärung der Schallschwingungen zu Mark, weil der in Physik viel besser war als sie. Die Fahrräder rosteten in der Garage still vor sich hin, als Führerscheinbesitzer ist man über diese Drahtesel erhaben, die Gesundheitswelle hatte gerade erst das Stadium des Joggens erreicht, Radeln war noch nicht wieder in.
Im Notfall war ja immer noch mein Auto da. Und Notfälle gab es beinahe täglich. Sie wurden regelmäßig beim Abendessen diskutiert.
»Ich fahre doch morgen nicht mit Nicki zur ersten Stunde hin, wenn ich erst zur vierten dasein muß«, moserte Katja.
»Dann nimmt Nicki den Bus, du die Ente, und mittags kommt ihr zusammen zurück. Wo liegt da das Problem?«
»In den Sternen. Ich habe nachmittags noch Astronomie.«
Kleine Denkpause, dann hatte ich die Lösung. »Ihr kommt beide zum Essen nach Hause, und später fährt Nicki wieder rüber.«
»Und wie komme ich nach Sinsheim? Wir haben doch morgen das Volleyball-Turnier«, protestierte Katja.
Jetzt meldete sich das Familienoberhaupt zu Wort:
»Wenn ich euch so höre, frage ich mich wirklich, wie ich die Schulzeit überlebt habe.
Ich
mußte jeden Tag mit dem Fahrrad fahren, neun
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