Werden sie denn nie erwachsen?
können es höchstens noch hundert Kilometer sein, das schaffen wir locker. – Guck mal, wie gefällt dir das Sweatshirt?«
»Überhaupt nicht. Wie kann man Lila mit Neongrün kombinieren? Wer da eine Weile draufschauen muß, braucht eine Sonnenbrille.«
»Du hast nicht für fünf Pfennig Geschmack!«
»Weiß ich. Das sagt dein Vater auch immer, weil ich mich weigere, eins von diesen handbreiten Röckchen anzuziehen. Ich habe schließlich schon die letzte Minirockwelle mitgemacht, und deshalb finde ich, daß ich mich diesmal zurückhalten sollte.«
»Männer steh’n nun mal auf Beine.«
»Eben. Deshalb stecke ich meine auch lieber in Hosen.«
Beinahe wären wir an der Telefonzelle vorbeigelaufen, obwohl wir schon seit einem halben Tag danach gesucht hatten. »Sag den Zwillingen, daß sie morgen unbedingt zu Hause bleiben müssen. Wenigstens ab nachmittags«, trichterte mir Steffi ein.
Sie waren erst gar nicht da. Nach Dossenheim seien sie gefahren, schon vor zwei Tagen. »Das Haus ist so entsetzlich leer«, beschwerte sich Rolf, »bis auf die Spüle.
Wann kommt ihr eigentlich zurück?«
»Morgen gegen Abend.«
»Na endlich. Ihr müßt aber irgendwas zu essen mitbringen, sonntags kommt der Hähnchenwagen nicht.«
Nachdenklich legte ich den Hörer auf. »Was hat er damit bloß gemeint?« fragte ich Steffi, nachdem ich kurz den Inhalt des Gesprächs wiedergegeben hatte.
»Ist doch ganz klar! Die Mädchen sind vorgestern weggefahren, und seitdem ernährt sich Papi von totem Huhn. Bei Tengelmann steht doch täglich die fahrbare Hendlbraterei.«
Zum erstenmal seit zweieinhalb Wochen rührte sich mein Gewissen. »Das ist aber ein sehr einseitiger Speisezettel.«
»Ach was«, meinte sie gleichmütig, »der Mensch sollte nicht gesünder leben, als ihm guttut. Hast du auf der Telefonkarte noch ein paar Einheiten drauf? Gut, dann rufe ich jetzt die Zwillinge an.«
Das Gespräch dauerte nicht lange. »Sie wären sowieso gekommen, hat Nicki gesagt, und wir brauchen auch nichts zum Essen zu kaufen wegen dem verspäteten Muttertag. – So, und jetzt sollten wir zusehen, daß wir wieder ein bißchen Landstraße unter die Räder kriegen.«
Hinein in die Alpen! Immer aufwärts, noch eine Kurve, noch eine Spitzkehre, vor uns eine majestätische Silhouette von Kuppen, Gipfeln und Gletschern, um uns herum große Waldregionen, vom sauren Regen auch schon arg angeknabbert, kaum mal ein Haus – ein herrliches Panorama, doch wohnen möchte ich hier trotzdem nicht.
Steffi hatte kaum einen Blick für die grandiose Landschaft. Seit mehreren Kilometern ärgerte sie sich über den hinter uns fahrenden Sportwagen, dessen Fahrer dauernd auf die Hupe drückte, aber trotzdem nicht überholte. »Warum fährt der Idiot nicht endlich vorbei?
Was nützt denn ein Tiger im Tank, wenn ein Kamel am Steuer sitzt? Der Kerl macht mich wahnsinnig!« An der nächsten Haltebucht scherte sie aus und stoppte. Der Sportwagen ebenfalls. Der Fahrer stieg aus und klopfte an die Scheibe. »You lose your bike«, knautschte er in schönstem Amerikanisch, stieg wieder in seinen Flitzer und rauschte davon.
»Tolles Geschoß!« Sehnsüchtig sah Steffi hinterher. »Ich glaube, Sportwagenfahrer sind die einzigen, die von unten auf andere Leute herabsehen können. Was wollte er eigentlich?«
»Irgendwas scheint mit den Fahrrädern nicht in Ordnung zu sein.« Wir stiegen aus, und dann sahen wir auch schon die Bescherung. Eins der Räder hatte sich aus der Verankerung gelöst und hing halb über der Straße. Das Pedal hatte sich auch schon verbogen. »Au weia, wenn das runtergefallen wäre …«
»Wahrscheinlich ist es passiert, als du vorhin den halben Baum mitgenommen hast. Ich habe dir ja gleich gesagt, du sollst dich ein bißchen mehr links halten.«
»Ja, ja«, knurrte Steffi, während sie den festgezurrten Riemen noch einmal kontrollierte, »die besten Fahrer findet man immer auf dem Beifahrersitz. Wir können ja mal tauschen!«
Bloß nicht! »Das lohnt nicht mehr, wir müssen gleich in Grenoble sein.« Die ersten Anzeichen einer Großstadt waren unübersehbar: Wegweiser und Reklameschilder.
»Wenn wir direkt auf die Autobahn fahren«, überlegte Steffi laut, »könnte ich bis zum Dunkelwerden locker hundertfünfzig Kilometer abreiten.«
»Und wo willst du übernachten? Im Schatten einer Raststätte? Hast du übrigens mal einen Blick zum Himmel gewerfen?« Schon seit einer ganzen Weile hatte ich die grauen Wolken beobachtet, die sich zusehends zu
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