Werke
Vorfall nur zum Guten zu benützen, so beruhigte er sich bald wieder. Er stellte sich in die äußerste Ecke zurück, und es war fast noch die Hälfte seines Körpers durch die Schnörkel eines hölzernen Beichtstuhles verborgen, wie sie gerne in der Tiefe katholischer Kirchen zu stehen pflegen. So stand er einige Minuten, und es war ihm, als müßten sogleich alle Augen auf ihn schauen; aber nicht ein einziges tat es, und kein Mensch nahm von seiner Anwesenheit besondere Kenntnis. Die Orgel ging ihren regelmäßigen Gang, und die Melodie des Kirchengesanges wallte sanft durch die Bogen. Es trat ein Kirchendiener zu ihm heran und hielt ihm den Klingelbeutel vor, er warf eine kleine Münze hinein, der Diener dankte, ging zu dem Nachbar, dann zu dem Nachbar des Nachbars, und so weiter – und alles war wieder wie vorher. Hugo blickte nun auf mehrere Personen – aber alle waren in sich selber vertieft. In der Kirche ließ sich nicht das mindeste Zeichen verspüren, daß heute etwas anderes geschehen solle als sonst. Wie es in großen Städten zu geschehen pflegt, traten wohl auch während des Gottesdienstes immer Menschen herein und hinaus; aber sie taten, wie sie alle Tage tun: der eine blieb da, der andere schlug einKreuz, tat ein kurzes Gebet und ging wieder. Öfter waren es Mädchen der dienenden Klasse, die einen kurzen Augenblick benützten. Sie setzten den Korb nieder, manche tat ein leichtfertiges Gebet, manche ein brünstiges – dann nahm sie wieder ihre Last an den Arm und ging. Auch Frauen kamen – mancher ward von einem Diener das Gebetbuch nachgetragen – sie setzten sich in einen Stuhl und versenkten sich in ihre Andacht.
Indessen war die Messe aus geworden, und es kam der Segen. Die schöne Weise des Dreimal-Heilig mischte sich mit dem Weihrauch, der nun empor stieg, sich oben mit den Sonnenstrahlen vermählte und von ihnen vergoldet ward. Der Priester wendete sich, segnete mit dem Allerheiligsten, und alle klopften andächtig an die Brust. Es kam noch ein kurzer Gesang, und dann war der Gottesdienst aus. An den Seitenaltären war auch kein Priester mehr, man löschte nach und nach die Kerzen, und die Menge wendete sich zum Gehen, einer nach dem andern. Viele gingen an der Seitentür hinaus, die meisten bei dem Haupttore, und manche mußten an Hugo vorüber, ohne ihn aber zu betrachten. Nur manches schöne Weiberauge, wenn es zufällig auf seine Züge fiel, war betroffen, und ihm gab es jedesmal einen Stich in das Herz. Die Kirche entvölkerte sich endlich ganz, und nur mehr ein paar unscheinbare Personen knieten in den Stühlen, wie überhaupt in einer großen Stadt eine Kirche in keinem Augenblicke des ganzen Tages vollkommen leer zu sein pflegt. Es war so stille geworden, daß er deutlich von außen herein die drei Glockenschläge vernehmen konnte, welche ihm verkündeten, daß bereits drei Vierteile der ihm anberaumten Zeit abgeflossen seien. Hugo wußte nicht, solle er den Rest noch abwarten, oder solle er fortgehen; aber seinem Willen getreu, wollte er bis eilf Uhr harren.
Es war so stille geworden, daß man das Rauschen der draußen fahrenden Wägen herein hören konnte.
In diesem Augenblicke vernahm Hugo neben sich Tritte, es ging ein Mann zu ihm hinzu und sagte: »Ich danke Euch recht schön, Herr, daß Ihr die vermessene Bitte eines alten Mannes erhört habt und gekommen seid.«
Der Mann war in der Tat alt, weiße Haare waren auf seinem Haupte und viele Runzeln im Angesichte. Sonst war er einfach und anständig gekleidet und hatte weiter nichts Auffallendes an sich.
Hugo war etwas unbestimmt über sein von dem nächsten Augenblicke gebotenes Benehmen und schaute den Alten eine kleine Zeit lang an, dann sagte er: »Ich weiß nicht, wenn ich etwa irre, so verzeiht mir – ich habe für den Fall, daß es nötig sein sollte, eine Kleinigkeit zu mir gesteckt.« –
»Ich bedarf kein Almosen und bin keines Almosens wegen hieher gekommen«, sagte der Alte.
Hugo wurde mit einer brennenden Röte übergossen und sagte: »Ihr wollt also mit mir sprechen – so sprecht. Aber wäre es nicht besser gewesen, wenn wir nicht die Kirche dazu gewählt hätten – wollt Ihr etwa mit mir in meine Wohnung kommen?«
Der Fremde sah Hugo an und sagte: »Ihr seid so gut, als Ihr schön seid, Herr, ich habe mich in Euch nicht geirrt. Aber ich bedarf auch keines Gespräches mit Euch, so wie ich keines Almosens bedarf. Ihr habt mir eine große Wohltat erwiesen, bloß daß Ihr gekommen seid. Ihr werdet das nicht
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