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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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sich auf denselben Sessel wie das erste Mal. Sie saß in den Kissen des Sofas und sah auf ihn hin. Sie fragte ihn, ob er, seit sie sich nicht gesehen haben, immer wohl gewesen sei, und ob er ihrer gedacht habe. Er antwortete, daß er wohl sei, und daß er nicht nur ihrer gedacht, sondern daß er fast sonst nichts gedacht habe als sie. Sie war bei seinem Eintreten wie das erste Mal errötet, und bei diesen Worten errötete sie noch mehr.
    Sie hatte ihn das vorige Mal gar nicht um seinen Namen oder etwa um andere Verhältnisse gefragt, sie tat es auch heute nicht. Er aber erzählte ihr freiwillig, daß er ein fernes Haus auf sehr schöner grüner Halde habe, um die hohe Berge mit ehrwürdigen Häuptern stehen – er erzählte ihr von seiner Jugend, die er so vereinsamt verlebt habe, und in der er so glücklich gewesen sei, er erzählte ihr von seinem Vater, der ihn unterrichtet und mehr geliebt habe, als er verdiente, er erzählte ihr von dem Abschiede von diesem Vater, von dem Tode desselben, und von dem Schmerze, dem er sich über diesen Tod hingegeben habe. Von der Mutter könne er ihr wenig erzählen, er habe sie kaum gekannt, aber der Vater habe öfter von ihr gesagt, wie sie gut gewesen, und wie sie für sein Glück viel zu frühe gestorben sei – aus diesen Reden habe er sie auch lieben gelernt, und sei manchmal, nicht bloß mit dem Vater, sondern auch allein zu dem Hügel Erde hin gegangen, unter dem ihre Glieder ruhten. Er erzählte ihr dann ferner, wie er in diese Stadt gekommen sei, wie er sich hier eingerichtet habe, womit er sich beschäftige, und was seine Absichten für die Zukunft seien. Von der Veranlassung, durch die er sie kennen gelernt, so wie überhaupt von dem, was darauf gefolgt ist, sagte er kein Wort.
    Sie hörte ihm aufmerksam zu, hatte die Augen auf seine redenden Lippen geheftet, und in dem Angesichte war etwas wie Rührung, oder beinahe wie Wehmut gezeichnet. Sie sagte ihm, sie könne ihn aus ihrem Herzen versichern, daß sie eben so einsam, vielleicht noch viel einsamer auf dieser Erde sei als er. Sie habe bisher niemanden gehabt, der eine anhängende Neigung gegen sie bewiesen habe, außer Dienstboten, die ihr gut gewesen seien, ihm war ein Vater zur Seite gestanden, an den, wenn er ihn auch verloren habe, er sich erinnern könne. Sie habe nie jemanden gehabt. Jetzt kenne sie nur ihn. Sie habe ihn beim ersten Sehen gleich als gut erkannt, und als verschieden von allen andern. Und wie sie bemerkt habe, daß er auf sie schaue – und wie er vor der Kirchentür gestanden sei, und wie sie erkannt habe, daß er nur darum da stehe, daß er einen Blick auf sie tun könne, so sei die außerordentlichste Freude in ihr Herz gekommen. Sie habe schwere, schwere Schicksale erlitten.
    Beim Abschiede bat sie Hugo, sie möchte ihm ihre Hand reichen. Sie hatte schon damals, als er ihr in der einsamen Gasse das verlorne Blättchen darreichte, keine Handschuhe gehabt, später, da sie ihm aus dem schwarzen Ärmel hervor zum ersten Male die Hand gab, hatte sie auch keine, und eben so hatte sie die beiden Male keine, da er sie besuchte. Sie reichte ihm die Hand, und wie er dieselbe in seine beiden faßte, herzlich drückte und zum Kusse an seine Lippen führte, rannen reichliche Tränen über ihre Wangen herab.
    Wie das erste Mal führte ihn das Mädchen durch die Vorzimmer hinaus, er ging die Treppe hinab, sah den alten Türsteher, ging über den Sandweg des Gartens hervor und schritt durch das Eisengitter auf die Straße hinaus. Der Gegensatz des Alltäglichen mit dem, was er so eben erlebt hatte, drängte sich ihm auch heute auf. Sie war wieder sehr schön gewesen, und in dem schlanken, zarten, dunkelgrünen seidenen Kleide, das die kleinen Fältchen auf dem Busen hatte, sehr edel. Es war ihm wie ein Rätsel, daß sich die Pracht dieser Glieder aus der unheimlichen Kleiderwolke gelöset habe, und daß sie vielleicht sein werden könne.
    Er kam, wie es verabredet worden war, am dritten Tage nach diesem Besuche wieder. Es war wie die beiden Male. Das Eisengitter war eingeklinkt, er öffnete es, ging über den Sandweg, sah den Pförtner sitzen, ging über die Treppe empor, fand das gewöhnliche Mädchen in den Vorzimmern, trat von diesen in die Wohnung ein und fand dort sie. Sie empfing ihn jedes Mal, wie zu anfangs, mit derselben Befangenheit. Ihre Kleider, wie sie auch wechselten, waren immer sehr rein, sehr schön und sehr einfach. Vorzüglich liebte sie Seide. Jedes Kleid schloß sich am Halse. Dann war,

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