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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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mußte in der Wirkung der großen, nie gekannten Eindrücke des heutigen Morgens geschehen sein. Er ging daher noch einmal in das Zimmer zurück, stellte sich wieder an das Fenster und sagte die einfachen Worte, die er sich einst heimlich und ohne daß jemand etwas davon wußte, zu diesem Zweckezusammen gedacht hatte. Dann trat er zum zweiten Male den Weg zu dem Oheime an.
    Das eiserne Gitter am Gange war nicht mehr versperrt, er trat durch dasselbe hindurch und fand leicht den Gang, aus welchem er gestern in das Speisezimmer war geführt worden – aber der Gang hatte gar keine Tür, die in ein Gemach hätte leiten können, sondern es standen in demselben lauter alte Kästen, die er schon gestern beim Schlafengehen im Kerzenscheine gesehen hatte. Die Gangfenster waren von unten gegen oben mit Brettern verschlagen, nur eine kleine Öffnung war oben frei, daß durch das Glas das Licht herein fallen konnte, gleichsam als scheute man die Freiheit und Klarheit des Lichtes und liebte die Finsternis in diesen Gängen. Da Victor so suchte, trat aus einem der Kästen die alte Frau heraus, die gestern zum Abendessen die Speisen gebracht hatte. Sie trug Tassen und Schalen, und ging wieder in einen solchen Kasten hinein. Da Victor an dem, wo sie heraus gekommen war, näher schaute, entdeckte er, daß derselbe ein verharrtes Türfutter sei und zur Hinterwand die Tür habe, durch die er gestern zu dem Oheime hinein gegangen war, wie er an dem Ringe und Klöppel erkannte, die er gestern beim Lichte bemerkt hatte. Er klopfte leicht mit dem Klöppel, und auf einen Laut drinnen, der wie ›herein‹ klang, öffnete er und ging hinein. Er gelangte wirklich in das gestrige Speisezimmer und traf den Oheim.
    Die vielen gleichen Kästen, die sich etwa in dem Gebäude vorgefunden hatten, schienen nur darum in den Gang gestellt worden zu sein, daß jemand, der in unredlicher Absicht durch eine Tür hinein gehen wollte, diese Absicht nicht leicht erreiche, weil er die kostbarste Zeit durch Untersuchung der wahren und falschen Türkästen vergeuden mußte. Zu demselben Zwecke größerer Sicherheit schienen auch die Gänge verfinstert worden zu sein.
    Der Oheim hatte heute den grauen, weiten Rock an, in dem ihn Victor gestern an dem Eisengitter hatte stehen gesehen. Er stand jetzt im Zimmer auf einem Schemel und hatte einen ausgestopften Vogel in der Hand, von dem er mit einem Pinsel den Staub abbürstete.
    »Ich werde dir heute die Stundeneinteilung meines Hauses geben, die durch Christoph aufgeschrieben ist, daß du dich darnach richten kannst; denn ich habe mein Frühstück schon nehmen müssen, weil die Zeit da war«, sagte er zu dem hereingekommenen Victor ohne weiteren Morgengruß oder sonstiger Bewillkommung.
    »Ich wünsche Euch einen sehr guten Morgen, Oheim,« sagte Victor, »und bitte um Verzeihung, daß ich die Frühmahlstunde versäumt habe, ich wußte sie nicht.«
    »Freilich konntest du sie nicht wissen, Narr, und es verlangte niemand, daß du sie einhaltet. Gieße dem Hunde in jenen hölzernen Trog Wasser ein«
    Mit diesen Worten stieg er von dem Schemel herunter, ging zu einer Leiter, bestieg sie und setzte den Vogel in das obere Fach eines Glasschreines. Für den hineingestellten nahm er einen andern heraus und fing dasselbe Bürsten mit ihm an.
    Victor konnte jetzt bei Tage erst sehen, wie ungemein hager und verfallen der Mann sei. Die Züge drückten kein Wohlwollen und keinen Anteil aus, sondern waren in sich geschlossen, wie von einem, der sich wehrt, und der sich selber unzählige Jahre geliebt hat. Der Rock schlotterte an den Armen, und von dem Kragen desselben ging der rötliche, runzlige Hals empor. Die Schläfe waren eingesunken, und das zwar noch nicht völlig ergraute, aber aus vielen mißhelligen Farben gemischte Haar war struppig um dieselben herum, niemals, seit es wuchs, von einer liebenden Hand gestreichelt. Die Augen, die unter den herabgesunkenen Brauen hervor gingen, hafteten auf dem kleinen Umkreise des toten Vogels. Der Rockkragen war an seinem oberen Rande sehr schmutzig, und an dem Ärmel sah ein gebauschtes Stück Hemd hervor, das ebenfalls schmutziger war, als es Victor je bei seiner Ziehmutter gesehen hatte. Und überall waren leblose oder verdorbene Dinge um den Mann herum. Es befanden sich in dem Zimmer eine Menge Gestelle, Fächer, Nagel, Hirschgeweihe und dergleichen, an welchen allen etwas hing und auf welchen allen etwas stand. Es wurde aber mit solcher Beharrung gehütet, daß überall der

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