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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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seinerseits das Schloß seines Zimmers zu und entkleidete sich. Es fiel ihm während dieser Handlung auf, daß er heute abends in dem ganzen Hause nur drei Menschen gesehen habe – und daß diese lauter alte gewesen sind.
    Als er sein Nachtgebet, das er gewissenhaft seit den ersten Tagen seiner Kindheit immer verrichtete, gesprochen hatte, legte er sich in das Bett. Er ließ eine Weile noch das Licht auf seinem Betttischchen brennen, bis ihm die Augenlider zu schwer wurden und die Sinne zu schwinden begannen. Dann löschte er die Kerze aus und drehte sich gegen die Wand.
    Der Spitz lagerte sich. wie gewöhnlich, zu den Füßen seines Bettes, tat ihm nichts Leides, und beiden ermüdeten Wesen war die Nacht wie ein Augenblick.

5. Aufenthalt
    Als Victor des andern Morgens erwachte, erschrak er über die Pracht, die sich ihm darstellte. Die Grisel stand drüben in allen ihren Spalten funkelnd und leuchtend, und obwohl sie in der Nacht der höchste Berg geschienen hatte, so standen doch nun höhere neben ihr, die er in der Nacht nicht gesehen hatte, und die nun sanft blau nieder schienen und an vielen Stellen Schneeflecken zeigten, die sich wie weiße Schwäne in die Spalten duckten. Alles glänzte und flimmerte durcheinander, hohe Bäume standen vor dem Hause in einer solchen Nässe, wie er sie nie gesehen hatte, die Gräser troffen, überall gingen breite Schatten nieder, und das Ganze erschien noch einmal in dem See, der von jeder Flocke Nebel rein gefegt wie der zarteste Spiegel dahin lag. Victor hatte seine Fenster aufgerissen und steckte das blühende Angesicht zwischen den Eisenstäben hinaus. Sein Erstaunen war außerordentlich. Mit alle dem Getümmel an Lichtern und Farben herum bildete das todähnliche Schweigen, mit dem diese ungeheuren Bergeslasten herum standen, den schärfsten Gegensatz. Kein Mensch war zu sehen – auch vor dem Hause nicht – nur einige Vögel zwitscherten zeitweilig in den Ahornen. Welch ein Morgenlärm mochte nicht in all diesen Höhen sein, aber er war nicht zu vernehmen, weil sie zu ferne standen. Victor streckte den Kopf, so weit er konnte, hinaus, um herum schauen zu können. Er sah einen ziemlichen Teil des Sees. Überall schritten Wände an demselben hin, und der Jüngling konnte durchaus nicht erraten, wo er herein gekommen war. Auch die Sonne war an einem ganz andern Orte aufgegangen, als er erwartet hatte, nämlich hinter dem Hause, und seine Fenster waren noch im Schatten, was eben das Licht der gegenüber liegenden Wände noch erhöhte. Mit dem Monde, den er gestern seiner Lichtwirkung nach höchstens für eine schmale Sichel gehalten hatte, war er ebenfalls im Irrtume; denn er stand nun als Halbmond noch am Himmel, gegen die Zacken der Gebirge sich nieder neigend. Victor kannte die Wirkung der Lichter in den Bergen noch nicht. Welche Flut hätte auf die fernen Wände fallen müssen, daß sie so erleuchtet dagestanden wären wie der Kirchturm seines Dorfes, der im Mondscheine immer so schimmernd weiß und scharf in die dunkelblaue Nachtluft empor gestanden war. Obwohl die Sonne schon ziemlich hoch stand, so war doch die Luft, die zu seinen Fenstern herein strömte, noch so kalt und naß, wie er sie zu Hause nicht gewohnt war; allein sie belästigte ihn nicht, sondern sie war zugleich so fest und hart, daß sie alle seine Lebensgeister anregte. Er trat endlich von dem Fenster zurück und fing an, seinRänzlein auszupacken, um sich anders anzukleiden, als er auf der Reise gewesen war; denn heute, dachte er, wird der Oheim zu ihm sprechen, und wird ihm erklären, warum er ihn zu sich auf diese vereinsamte Insel habe kommen lassen. Er legte reine Wäsche heraus, er bürstete den Staub von dem zweiten Anzuge, den er außer dem Reisekleide noch mit sich führte, er benützte reichlich das spiegelklare in dem zinnenen Kruge vorhandene Wasser, um den Reisestaub von sich zu waschen, und zog sich dann so zusammen stimmend und passend an, wie er es in dem überreinlichen Hause seiner Ziehmutter gelernt hatte. Selbst den Spitz, der ein so unwillkommener Gast in diesem Hause war, hatte er vorher noch gekämmt und gebürstet. Dann legte er ihm wieder das Halsband um und knüpfte seine Schnur an den Ring desselben. Als sie beide ganz und gar fertig waren, schloß er seine Türe auf und wollte in das Zimmer gehen, wo sie gestern abends gegessen hatten, um den Oheim zu suchen. Als er aber auf dem Gange war, fiel ihm ein, daß er heute zum ersten Male sein Morgengebet vergessen habe. Es

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