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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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Licht auf dem Tische brannte. Dort nahm er von einem Gestelle, oder sonst von etwas, das man nicht erkennen konnte, einen Handleuchter, kam wieder hervor, zündete die Kerze des Handleuchters an und sagte: »Jetzt folge mir.«
    Victor nahm sein Ränzlein mit dem einen Riemen in den Arm, faßte seinen Stab, zog den Spitz an der Schnur und ging hinter dem Oheime her. Dieser führte ihn bei der Tür hinaus in einen Gang, in welchem der Reihe nach uralte Kästen standen, dann rechtwinklich in einen andern, und endlich eben so in einen dritten, der durch ein eisernes Gitter verschlossen war. Der Oheim öffnete das Gitter, führte Victor noch einige Schritte vorwärts, öffnete dann eine Tür und sagte: »Hier sind deine zwei Zimmer.«
    Victor trat in zwei Gemächer, wovon das erste größer, das zweite kleiner war.
    »Du kannst den Hund in die Nebenkammer einsperren, daß er dir nichts tut,« sagte der Oheim, »und die Fenster verschließe wegen der Nachtluft.«
    Mit diesen Worten zündete er die auf dem Tische des ersten Zimmers stehende Kerze an, und ging ohne weiters fort. Victor hörte, daß er das Gitter des Ganges zusperre, dann verklang der schleifende Tritt der Pantoffeln, und es war die Ruhe der Toten im Hause. Um sich zu überzeugen, daß er hinsichtlich des Gitters recht gehört habe, ging Victor auf den Gang hinaus, um nach zu sehen. Es war in der Tat so: das eiserne Gitter war mit seinen Schlössern verschlossen.
    ›Du armer Mann‹, dachte Victor, ›fürchtest du dich etwa vor mir?‹
    Dann stellte er die Kerze, die er auf den Gang mit hinaus genommen hatte, wieder auf den Tisch neben das zinnene, verbogene Waschbecken und schritt gegen das große, vergitterte Fenster vor. Es waren zwei hart nebeneinander in steinene Simse gefügte Fenster. Victor sah, da das Glas geöffnet stand, durch das eiserne Gitter in die Nacht hinaus, und der Druck, der gleichsam auf seiner Seele lag, begann sich zu lösen. Es war ein blasser, mit wenigen Sternen besetzter Nachthimmel, der zu ihm herein blickte. Es mochte ein kleiner Ranft des wachsenden Mondes hinter dem Hause stehen; denn Victor sah das schwache Licht desselben auf den Blättern eines Baumes glänzen, der vor dem Hause war – aber die Berge, die gegenüber standen, zeigten sich völlig lichtlos. Die im Laufe dieses letzten Tages vielfach genannte Grisel erkannte er gleich. Sie stand wie ein flacher, schwarzer Schattenriß auf dem Silber des Himmels, bog sich niedergehend ein wenig aus, und an dem Buge stand ein Stern, wie ein niederhängendes irdisches Ordenssternlein.
    Victor schaute lange hinaus.
    ›Nach welcher Gegend hin‹, dachte er, ›wird das Tal meiner Mutter sein und wird das liebe schimmernde Häuschen zwischen den dunkeln Büschen stehen?‹
    Er hatte nämlich durch die vielfachen Windungen des Weges an der Afel herein und durch die Kreuzgänge des Hauses die Richtung der Weltgegenden verloren.
    ›Jetzt werden dort auch die Sterne nieder scheinen, der Holunder wird stille sein, und die Wasser werden rieseln. Mutter und Hanna werden schlummern, oder sie sitzen noch an dem Tische, wo sie das Abendmahl verzehrt haben, mit ihrer Arbeit und denken an mich, oder reden wohl gar von mir.‹
    Vor seinen jetzigen Fenstern war wohl auch ein Wasser, ein viel größeres als der Bach in seinem Muttertale, aber er konnte es nicht sehen; denn ein ruhiger weißer Nebel lag darauf, der oben durch eine wagrechte, gleichsam feste Linie abgeschnitten war.
    ›Von der Stube, in welcher ich schlief, schaut jetzt niemand nieder, um die Funken in dem regsamen Bache zu sehen, um die Bäume zu sehen, die herum stehen, oder auch die Berge, auf welche sich die Felder empor ziehen.‹
    Es kam, während er so hinaus schaute, nach und nach eine kalte, sehr feuchte Nachtluft durch die Fenster herein. Victor schloß sie also zu, und besah, ehe er sich nieder legte, auch das zweite Gemach. Es war wie das erste, nur daß es kein Bett hatte. Ein ruhiges Bild sah von einer Nische nieder, darauf ein Mönch abgemalt war. Victor schloß auch hier das schmale Fenster und ging zu seiner Lagerstätte hinaus. Den Spitz hatte er unwillkürlich immer an der Schnur mit sich geführt; nun aber lösete er den Knoten an dem Ringe, nahm ihm das Halsband ab und sagte: »Lege dich hin, wo du willst, Spitz, wir werden uns wechselweise nicht absperren.«
    Der Hund sah ihn an, als wollte er deutlich sagen, daß ihm alles befremdend vorkomme, und daß er nicht wisse, wo er sei.
    Victor schloß nun auch

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