Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
Vom Netzwerk:
ein und fuhr nach Hause.
    Was Herr Tiburius dieses eine Mal getan hatte, das versuchte er nun öfter. Ein ganz besonders schöner Herbst begünstigte ihn ausnehmend; schier immer stand die Sonne wolkenlos an einem milden, freundlichen Himmel. Tiburius ging stets weiter auf seinem Steige fort, er spürte keine Nachteile von diesen größeren Spaziergängen, ja es war sogar, als nützten sie ihm: denn er war, wenn er weit gegangen war, wenn er an der warmen Steinwand gesessen war, wenn er die Dinge um sich herum und an der Fläche des Himmels betrachtet hatte, viel heiterer als sonst, er fühlte sich wohl, hatte Hunger und aß. Endlich brachte er es so weit, daß er, wenn er nicht ganz spät am Vormittage hinaus fuhr, bis auf die Glockenwiese, wo er den Berg mit den Schneefeldern und das heraus brodelnde Wasser sah, und von da wieder zurück zu dem Wagen gehen konnte. Er hatte dies dreimal in einer Woche getan.
    Als Herr Tiburius die Geschichtsmalerei in Öl aufgegeben hatte, war er auf etwas Kleineres verfallen, nämlich auf das Zeichnen, um sich mit demselben manche angenehme Stunde zu machen, er hatte sich nach seiner Art gleich mehrere sehr vorzügliche Zeichenbücher angeschafft; aber er hatte während seiner Arzneistudien und da er so krank war, keinen Strich in diese Bücher gezeichnet. In das Bad hatte er auch die Gerätschaften des Zeichnens mit gebracht, war aber ebenfalls bis jetzt nicht dazu gekommen, auf das weiße Papier den geringsten Gegenstand zu entwerfen. Als er nun so oft seinen Waldsteig, auf dem er so viel gelitten hatte, aufsuchte, kamen ihm die Zeichenbücher und der Gedanke in den Sinn, daß er sie hieher mit nehmen und verschiedene Gegenstände nach der Wirklichkeit versuchen und endlich gar Teile des Steiges selber aufzeichnen könnte. Weil er mit gar niemanden im Bade zusammen kam, so konnte er seinen Gedanken um so leichter ausführen, da er durch keine Gesellschaften und Verbindungen gehindert war. Er fuhr also mit einem Buche hinaus, und saß an der sonnigen Wand und zeichnete. Dies tat er öfter, die Gegenstände, die er nachbildete, gefielen ihm, und endlich fuhr er unaufhörlich hinaus. Er ging nach und nach von den Steinen und Stämmen, die er anfänglich machte, auf ganze Abteilungen über, rückte endlich weiter in den Wald hinein und versuchte die Helldunkel. Besonders gefiel es ihm, wenn die Sonne feurig auf den schwarzen Pfad schien und ihn durch ihr Licht in ein Fahlgrau verwandelte, auf dem die Streifschatten der Bäume wie scharfe schwarze Bänder lagen. So bekam er schier alle Teile des dunkeln Pfades in sein Zeichenbuch. Aber er zeichnete nicht bloß immer, sondern ging auch herum, und einmal machte er den ganzen Weg wieder durch, den er zum ersten Male bei seiner Verirrung gemacht hatte.
    Als Herr Tiburius schon lange kein Narr mehr war, wenigstens kein so großer als früher, glaubten doch noch alle Leute, daß er einer sei, indem nämlich einmal durch seinen Arzt sein Zeichenbuch zur Ansicht kam und man darin die Seltsamkeit entdeckte, daß er ganz und gar lauter Helldunkel zeichne. Freilich muß ich hier auch bekennen, daß es im gelindesten Falle doch immer sonderbar war, daß er durchaus nirgends anders hin als zu seinem Waldsteige hinaus fuhr.
    Bis hieher hatte Tiburius nie ein menschliches Wesen auf seinem Wege gesehen, aber endlich sah er auch ein solches, und dasselbe ward entscheidend für sein ganzes Leben.
    Es lag ein schöner, langer Stein an dem Pfade, er lag schier auf der Hälfte des Weges zwischen der Wand und der Glockenwiese. Auf diesem Steine war Tiburius oft gesessen, weil er an einem sehr schönen, trockenen Platze lag, und weil man von ihm recht viele schlanke Stämme, herein blickende Lichter und abwechselnde Folgen von sanftem Dunkel sah. Als er eines Nachmittags gegen den Stein ging, um sich darauf zu setzen und zu zeichnen, saß schon jemand darauf. Tiburius hielt es von ferne für ein altes Weib, wie sie immer auf Zeichnungsvorlagen in Wäldern herum sitzen, namentlich, weil er etwas Weißes auf dem Pfade liegen sah, das er für einen Bündel ansah. Er ging gemach zu dem Dinge hinzu. Als er schon beinahe dicht davor stand, erkannte er seinen Irrtum. Es war kein altes Weib, sondern ein junges Mädchen, ihrer Kleidung nach zu urteilen, ein Bauermädchen der Gegend. Das grüne Dach des Waldes, getragen von den unendlich vielen Säulen der Stamme, wölbte sich über sie und goß seine Dämmerung und seine kleinen Streiflichter auf ihre Gestalt herab.

Weitere Kostenlose Bücher