Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
Vom Netzwerk:
Sie hatte ein weißes Tuch um ihr Haupt, ein leichtes Dächelchen über der Stirne bildend, fast wie bei einer Italienerin. Sie hatte ein hochrotes Halstuch um, auf dem Lichterchen, wie Flämmchen, waren. Das Mieder war schwarz, und den Schoß umschloß ein kurzes, faltenreiches, blauwollenes Röckchen, daraus die weißen Strümpfe und die groben, mit Nägeln beschlagenen Bundschuhe hervor sahen. Was Tiburius für einenBündel angesehen hatte, war ebenfalls ein weißes Tuch, das um ein flaches Körbchen geschlungen war, um es damit tragen zu können. Aber das Tuch konnte das Körbchen nicht überall verdecken, sondern dasselbe sah an manchen Stellen samt seinem Inhalte heraus. Dieser Inhalt bestand in Erdheeren. Es war jene Gattung kleiner würziger Walderdbeeren, die in dem Gebirge den ganzen Sommer hindurch zu haben sind, wenn man sie nur an gehörigen Stellen zu suchen versteht.
    Als Herr Tiburius die Erdbeeren gesehen hatte, erwachte in ihm ein Verlangen, einige davon zu haben, wozu ihn namentlich der Hunger, den er sich immer auf seinen Waldspaziergängen zuzog, antreiben mochte. Er erkannte aus der Ausrüstung, daß das Mädchen eine Erdbeerverkäuferin sei, wie sie gerne in das Bad kamen, und teils an den Ecken und Türen der Häuser, teils in den Wohnungen selber ihre Ware zum Verkaufe ausbieten. Im Angesichte hatte er das Mädchen gar nicht angeschaut. Er stand eine Weile in seinem grauen Rocke vor ihr, dann sagte er endlich: »Wenn du diese Erdbeeren ohnehin zu Markte bringst, so tätest du mir einen Gefallen, wenn du mir auch gleich hier einen ganz kleinen Teil derselben verkauftest, ich werde sie dir gut zahlen, das heißt, wenn du auf den Verkauf hinauf noch einen kleinen Weg mit mir zur Straße hinaus gehst, weil ich hier kein Geld habe.«
    Das Mädchen schlug bei dieser Anrede die Augen gegen ihn auf und sah ihn klar und unerschrocken an.
    »Ich kann Euch keine Erdbeeren verkaufen,« sagte sie, »aber wenn Ihr nur einen ganz kleinen Teil derselben wollt, wie Ihr sprecht, so kann ich Euch denselben schenken.«
    »Zu schenken darf ich sie nicht annehmen«, antwortete Tiburius.
    »Sagt einmal, hättet Ihr sie recht gerne?« fragte das Mädchen.
    »Ja, ich hätte sie recht gerne«, erwiderte Tiburius. »Nun so wartet nur ein wenig«, sagte das Mädchen. Nach diesen Worten nestelte sie, vorwärts gebückt, den großen Knoten des Tuches über dem Körbchen auf, hüllte die Zipfel zurück und zeigte auf dem flachen Geflechte eine Fülle gelesener Erdbeeren, die mit größter Sorgfalt und Umsicht gesucht worden sein mußten; denn sie waren alle sehr rot, sehr reif, und schier alle gleich groß. Dann stand sie auf, nahm einen flachen Stein, den sie suchte, gebrauchte ihn als Schüsselchen, legte mehrere große grüne Blätter, die sie pflückte, darauf und füllte auf dieselben ein Häufchen Erdbeeren, so groß, als es darauf gehen mochte.
    »Da!«
    »Ich kann sie aber nicht nehmen, wenn du sie bloß schenkst«, sagte Tiburius.
    »Da Ihr gesagt habt, daß Ihr sie recht gerne hättet, so müsset Ihr sie ja nehmen,« antwortete sie, »ich gebe sie Euch auch mit sehr gutem Willen.«
    »Wenn du sie mit sehr gutem Willen gibst, dann nehme ich sie wohl an«, sagte Tiburius, indem er den flachen Stein mit Vorsicht aus ihrer Hand in die seinige nahm. Er aß aber in dem ersten Augenblicke nicht davon.
    Sie beugte sich wieder nieder und richtete das Körbchen mit dem weißen Tuche in den vorigen Stand. Als sie sich empor gerichtet hatte, sagte sie: »So setzt Euch auf diesen Stein nieder, und eßt Eure Erdbeeren.«
    »Der Stein ist ja dein Sitz, da du ihn zuerst eingenommen hast«, antwortete Tiburius.
    »Nein, Ihr müßt Euch darauf setzen, weil Ihr esset, ich werde vor Euch stehen bleiben«, sagte das Mädchen.
    Tiburius setzte sich also, um ihren Willen zu tun, nieder und hielt das Steinschüsselchen mit den Erdbeeren vor sich. Er nahm mit seinen Fingern zuerst eine und aß sie, dann die zweite, dann die dritte, und so weiter. Das Mädchen stand vor ihm und sah ihm lächelnd zu. Als er nur mehr wenige hatte, sagte sie: »Nun, sind sie nicht gut?«
    »Ja, sie sind vortrefflich,« antwortete er, »du hast die besten und gleichbedeutendsten zusammen gesucht. Aber sage mir, warum verkaufst du denn keine Erdbeeren?«
    »Weil ich durchaus keine verkaufe,« erwiderte sie, »ich suche sehr schöne und gute, und der Vater und ich essen sie dann. Das ist so: der Vater ist alt und wurde im vorigen Frühlinge krank. Der

Weitere Kostenlose Bücher