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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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besonders reichlich flogen und an den Säulen des Häuschens und an den Gewändern der Gesellschaft hingen.
    Plötzlich tat Lulu, die eine erwachsene und, wir müssen es sagen, sehr schöne Jungfrau geworden war, einen Schrei.
    »Hat dich eine Spinne geschreckt?« fragte man.
    »Nein, ein weißer Mantel«, antwortete sie, und zeigte nach der Stelle, nach welcher sie bei Ausstoßung ihres Schreies geblickt hatte.
    Alle schauten hin.
    Außerhalb des Gitters stand auf dem Feldwege, der um den Garten ging, ein Wagen, in demselben saß ein einzelner Mann, der einen weißen Mantel um die Schultern hängen hatte und unverwandt auf die Gesellschaft hinein sah.
    »Lauf, Julius,« sagte der Vater, »und frage, ob er etwas wünscht.«
    Der Knabe lief hin, redete mit dem Manne, kam zurück und sagte: »Eingelassen wünscht er zu werden, er sagt, er sei nicht ganz fremd.«
    Der Knabe erhielt den Schlüssel, den man zur Bequemlichkeit bei Spaziergängen immer mit sich führte, er schloß das Tor auf, der Fremde ging herein, stieg den Hügel hinan, und stellte sich der Gesellschaft vor.
    Man erkannte ihn augenblicklich. Es war der junge Mann aus jener schrecklichen Kriegesnacht. Aber er war nun kein Jüngling mehr, sondern ein freundlicher Mann, der so gütig blickte, daß man unmöglich hätte glauben können, daß er derselbe sei, der damals das fürchterliche Spiel auf Leben und Sterben getrieben habe.
    »Verzeihen Sie, meine Herrn und Frauen,« sagte er, »daß ich zu Ihnen komme, ich bin Ihnen nicht fremd, Sie haben nicht Ursache, mir irgend gut zu sein; aber Sie werden mich doch auch nicht hassen, was ich daraus schließen muß, daß seit den vielen Jahren her keine Genugtuung von mir wegen jener Nacht gefordert worden ist.«
    »Nein, nein, es wird auch keine mehr gefordert werden« rief man, und nötigte ihn zum Sitzen.
    Er tat es, und sagte: »Lassen Sie mich nur noch einen Augenblick fortfahren. Jeder Mensch hat einen Punkt der Sehnsucht in seinem Leben, nach dem es ihn immer hinzieht, und den er erreichen muß, wenn er ruhig sein will. Meine Sehnsucht ist jenes Gitter dort. Seit ich damals in der Nacht sein Schloß erbrach, um auf den Turm zu gehen und die Lichterstellung des Feindes zu zeichnen, seit jenem Augenblicke, wo ich es, da ich zurückkehrte, von dem Feinde besetzt fand, und nun nur noch die Aussicht vor mir hatte, entweder als Spion gefangen und schimpflich aufgehängt zu werden, oder durch einen tollkühnen Ritt von vorne heraus in die Überraschten Feinde zu sprengen, um entweder ehrlich zu fallen, oder eben durch die Unglaublichkeit des Wagstückes durchzukommen nach rückwärts hätte ich wegen des geackerten Bodens und der andern Hindernisse nicht hinaus sprengen können – seit jenem Augenblicke zog es mich immer zu dem Gitter, und ich dachte, ich müsse es doch noch einmal sehen. Darum kam ich her, und fuhr auf dem Feldwege um den Garten zu dem Gitter. Und lassen Sie mich es offenherzig sagen, einen nicht minderen Anteil an meinem Kommen hat der Gedanke, Sie alle zu sehen, mir wegen des Übels, das ich Ihnen zufügte, und das mir immer Unruhe machte, Ihre vollkommene Verzeihung zu holen und Ihre Achtung zu erwerben; denn ich habe seither in vielen Schlachten mit jenem leichten Herzen gekämpft, das mir dieser Herr damals gewünscht hat.«
    Er zeigte bei diesen Worten auf den Verwalter.
    »So gefallen Sie mir viel besser, junger Mann, als in jener Nacht«, sagte der mit rotem Angesichte und schneeweißen Haaren prangende Schloßherr.
    »Ja, lieber Herr,« erwiderte der Fremde, »ich kenne kein fröhlicheres Gefühl, als mit entlasteter Brust an der Seite seiner Stammes- und Sprachgenossen einem übermütigen und anmaßenden Feinde des schönen Vaterlandes entgegen zu reiten. Mir ist dies Gefühl zu Teil geworden, ich habe gesucht, die Scharte, die meine Dienstpflicht in jener Nacht der gemeinschaftlichen Sache vielleicht geschlagen hat, wieder gut zu machen, und mögen alle Himmel geben, daß das so tief fühlende, denkende, edelherzige Volk der Deutschen nie wieder in seinen altersgrauen Fehler zurückfalle und gegen sich selber kämpfe.«
    »Ja, gebe es Gott, gebe es Gott«, sagten die Männer. Es war indessen der Kaffee eingeschenkt worden, und die Hausfrau gab dem Fremden die erste Tasse. Der Verwalter ließ den Wagen um die Gartenmauer herum in das Schloß bringen, und der Schloßherr und alle luden den Fremden ein, nun in Ruhe und Muße in dem Schlosse zu bleiben, um das Gartengitter so oft

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