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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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November war vor allen näheren und ferneren Verwandten die Vermählung in der Kapelle der roten Sentze.
    Als wir nach der Feierlichkeit uns in dem Saal versammelt hatten, ich in der schweren Kleidung der Palsentze, und Hiltiburg in einem reicheren Schmucke, als sie je einen gehabt, und als wir uns auf den Befehl unserer Väter den Kuß der Ehe gegeben hatten, rief mein Vater: »Das ist ein Liebeskuß der Palsentze, möge nie mehr in dem Geschlechte not sein, daß ein Friedenskuß gegeben werde.«
    Hier hört die Schrift der Sentze auf.
    Wir können aber berichten: Die gestreifte Sentze wird immer stattlicher und wohnlicher, und der Garten immer blühender; die rote Sentze ist fast schon so rein und klar wie die weiße; die graue Sentze ist in ihrem Innern noch ansehnlicher und prunkender als früher ausgerüstet. Hiltiburg und Rupert sind in einem Glücke, wie jenes einzige Fräulein und jener einzige Junker des Geschlechtes der Palsentze gewesen waren, und es scheint auch von ihnen die Folge ausgehen zu wollen wie von jenem Paare.
    Die Väter leben in so gutem Einvernehmen, als hätten sie sich viermal den Kuß von Sentze gegeben.

Der fromme Spruch

1
    Dietwin von der Weiden hatte die Gepflogenheit, an jedem vierundzwanzigsten Tage des Monates April gegen den Abend in das Gut seiner Schwester einzufahren. So geschah es auch diesmal wieder, daß an dem genannten Tage um fünf Uhr nachmittags sein Wagen durch das Tor des Schlosses rollte. Er wurde von der Dienerschaft empfangen und in seine zwei wohlbestellten Zimmer ge leitet. Dort kleidete er sich mit der Hilfe seines Kammerdieners sorgsam um, während der andere Diener die Gepäcksachen von dem Wagen heraufschaffen und der Kutscher die zwei Schimmel in dem Stalle gehörig versorgen ließ. Als der Kammerdiener erklärt hatte, daß nichts mehr an dem Anzuge fehle, ging Dietwin zu seiner Schwester. Diese saß in einem schwarzseidenen Kleide auf einem erhöhten Platze ihres Prunkzimmers, und er wartete ihn. Etwas tiefer saß eine Kammerfrau, die gleich falls in schwarze Seide gekleidet war. Als sich die Flügeltüren geöffnet hatten, und er hereingetreten war, stand die Schwester auf, und ging ihm entgegen. In der Mitte des Gemaches kamen sie zusammen. Er nahm sie bei der Hand, neigte sich gegen sie, und küßte sie auf die Stirne. Sie behielt seine Hand, erhob sich gegen ihn, und gab ihm den Kuß zurück. Darauf geleitete er sie zu ihrem Sitze. Zwei Diener rückten für ihn einen Armstuhl auf der Erhöhung dem Stuhle ihrer Gebieterin gegenüber. Dann verneigten sie sich tief gegen beide, stiegen von der Erhöhung, gingen aus dem Saale, und schlossen hinter sich die Flügeltüren. Dietwin setzte sich in den Armstuhl, die Schwester bedeutete die Kammerfrau, welche aufgestanden war, sich wieder zu setzen, und als dieses geschehen war, wendete sie sich zu dem Bruder, und sagte: »Sei gegrüßt, Dietwin.«
    »Sei gegrüßt, Gerlint«, antwortete er.
    »Erfreust du dich einer vollkommenen Gesundheit?« fragte sie.
    »Ich bin frisch und gesund, wie ich es alle lage meines Lebens gewesen bin,« antwortete er, »und kann ich von dir das gleiche erfahren?«
    »So wie mich Gott der Herr noch nie mit einer Krankheit heimgesucht hat,« entgegnete sie, »so bin ich auch seit unserem letzten Zusammensein gesund geblieben. Ich habe mein einfaches Leben zur Erhaltung meines Körperwohles fortgesetzt, und nehme eine Krankheit, wenn sie Gott sendet, demütig an, und trage, was sie bringt.«
    »An diesen Gesinnungen erkenne ich dich«, sagte er.
    »Und ist deine Gemütsruhe nicht gestört worden?« fragte sie.
    »Wie es in der Verwaltung von Liegenschaften Verdrießlichkeiten gibt,« antwortete er, »und wie ein leichter Unmut über den Gang der öffentlichen Dinge zuweilen in das Gehirn kommt, so rechnete ich diese Sachen in der letzten Zeit so wenig wie früher, und so glaube ich, daß nichts meinen jetzigen Gleichmut zu erschüttern im Stande wäre.«
    »Das ist recht gut«, erwiderte sie.
    »Und wie ist es mit deiner Seelenruhe beschaffen?« fragte er.
    »Da ich immer weniger auf das achte, was Dienstleute und Untergebene gegen meinen Sinn tun,« antwortete sie, »da ich immer weniger in die öffentlichen Angelegenheiten eingehe, weil mir ein Urteil über sie nicht zusteht, und da ich immer mehr alle Vorkommnisse als Schickungen Gottes betrachte, so kommt stets dauernder eine Stille meines Herzens zu mir, die wohl durch nichts mehr einen Abbruch erleiden wird.«
    »Das ist auch

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